"Balance from Within" lautet der Titel der Installation von Jacob Tonski, mit der er beim Prix Ars ELectronica 2014 eine Auszeichnung in der Kategorie Interactive Art gewann. Im Interview verrät er uns, was es mit dem balancierenden Sofa auf sich hat.
Zwischenmenschliche Beziehungen aufrechtzuerhalten, erfordert einen kontinuierlichen Balanceakt, ein ständiges Ausgleichen und Anpassen. Wie schwierig und anfällig eben dieses (aus-) balancieren ist, führt der US-amerikanische Künstler Jacob Tonski vor Augen: Mittels eines ausgeklügelten Mechanismus balanciert er ein 170 Jahre altes und 40 Kilo schweres Sofa auf nur einem Bein. Dass diese Position nur unter größter Anstrengung gehalten werden kann, machen die dumpfen Geräusche der Motoren bewusst. Geräusche, die an ein Ächzen oder Stöhnen erinnern.
Durch jedes noch so kleine bzw. leichte Einwirken von außen läuft das Sofa sofort Gefahr aus dem Gleichgewicht zu geraten und umzustürzen. Um im Falle des Falles gröbere Schäden bzw. Materialbrüche zu vermeiden, halten Magneten die einzelnen Teile des Sofas zusammen und ermöglichen ein „kontrolliertes Splittern“ sowie ein rasches und einfaches Wiederzusammensetzen. Für seine einmalige Installation „Balance from Within“ erhielt er eine Auszeichnung beim diesjährigen Prix Ars Electronica in der Kategorie Interactive Art.
Wie er den Moment erlebt hat, als sein Sofa das allererste Mal auf einem Bein stand und warum er, obwohl er alles dafür tut, dass dies nicht passiert, das Umfallen des Sofas als einen essentiellen Bestandteil seines Projekts erachtet, hat uns Jacob Tonski im Interview verraten.
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Hallo Jacob! Bereits im Jahr 2008 hast du erste Studien zur Balance gemacht. Was fasziniert dich am Akt des Balancierens?
Jacob Tonski: Balancieren ist sehr komplex und schwierig und trotzdem tun wir es, scheinbar mühelos, die ganze Zeit. Ich habe gelernt, dass es ein sehr dynamischer Prozess ist. Wenn wir stehen, scheint es, als ob wir mit dem Boden fest verwurzelt wären, doch unsere Muskeln korrigieren unsere Position ständig, in einer Art Tanz mit der Schwerkraft. Ich finde, der Akt der Balance ist eine sehr gute Metapher für all die Kräfte, die wir im Leben auszugleichen versuchen.
Als ich gesehen hab, wie meine Kinder gehen lernten und als ich selbst das Einrad Fahren gelernt habe, habe ich begriffen, wie wichtig die Beachtung von Feinheiten beim Balancieren ist. Man lernt Muskeln gezielt einzusetzen und zu kontrollieren, von denen man oft nicht einmal wusste, dass man sie überhaupt hat und man lernt über Dinge nachzudenken, über die man nicht einmal wusste, dass man darüber überhaupt nachdenken kann.
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Wie kam es zu dem Projekt „Balance from Within“?
Jacob Tonski: Die Idee entstand, als ich mich mit einem Stuhl spielte. Ich habe versucht, ihn auf einem Bein zu balancieren. Da gibt es diesen einen Moment, kurz bevor er fällt, er aber noch der Schwerkraft trotzt. Dieser Moment ist einfach wunderbar. Diesen kurzen Moment länger hinauszuzögern erschien mir extrem spannend und anspruchsvoll. Als ich angefangen habe, wusste ich nicht, ob es überhaupt möglich wäre etwas auf einem starren Punkt auszugleichen, aber es war dann das Zusammentreffen verschiedener Faktoren, wie Neugierde, Absurdität, kognitive Dissonanz und ein schwieriges technisches Problem, die mich dazu veranlassten ernsthaft mit dem Projekt zu starten.
Warum ist ein balancierendes Sofa als Allegorie für die Balance zwischenmenschlicher Beziehungen zu verstehen?
Jacob Tonski: Das Sofa erscheint mir als eines der wichtigsten und langjährigsten Gegenstände hinsichtlich der Gestaltung und Förderung sozialer Interaktion. Aus diesem Grund habe ich mich auch für ein sehr altes Sofa entschieden. Ein Sofa ist außerdem ein Objekt, das im Wesentlichen immer auf allen vier Beinen steht. Es zu kippen, kann daher helfen, gewisse Erwartungen zu zerstören.
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Der interne Mechanismus der Skulptur basiert auf einem sogenannten Reaktionsrad, das normalerweise in Satelliten eingesetzt wird. Wie kamst du auf die Idee so etwas zu verwenden?
Jacob Tonski: Meine Recherchen führten mich zunächst auf eine ältere Roboter-Forschungsplattform, die als „Acrobot“ bekannt ist. Mit Hilfe des Robotik-Forschers Garth Zeglin begann ich zu verstehen, dass es nicht der Mittelpunkt der Massenbewegung ist, der zählt, um etwas zu balancieren, sondern der Drehmoment. Da wurde mir klar, dass durch das einfache Drehen eines Motors, der nichts anderes als sich selbst antreibt, die von mir gewünschte Wirkung entstehen könnte. Das Ganze war anfangs dennoch sehr intuitiv. Als ich dann verschiedene Designs von Motoren studierte, die ein hohes Drehmoment bei gleichzeitig niedriger Drehzahl und geringer Geräuschentwicklung haben, stieß ich auf die Reaktionsräder, wie sie auch in Satelliten eingesetzt werden und mir war sofort klar, dass sie genau die geforderten Bedingungen erfüllen würden.
Was hat es mit den Geräuschen auf sich, die der Motor der Installation macht?
Jacob Tonski: Das sind Elektro-Fahrrad-Motoren. Die Motoren, die ich gewählt habe, erzeugen ein leichtes Brummen oder Jammern – je nach Geschwindigkeit. Es sind bürstenlose Gleichstrommotoren, die durch Hall-Sensor-Signale kommunizieren und das erzeugt wiederum diese elektrischen und mechanischen Geräusche. Während meiner Forschungen habe ich gelernt, wie man mit einem sogenannten Drehgeber diese Art von Motoren zum Schweigen bringt, aber speziell bei meiner Skulptur bin ich von diesen kämpferisch klingenden Geräuschen eigentlich sehr angetan. Der Sound, der von diesem Mechanismus ausgegeben wird, ist für mich in Harmonie mit der kontinuierlich gelösten Aufgabe des Balancierens.
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Wie fühlte es sich an, als das Sofa das allererste Mal balancierte?
Jacob Tonski: Anfangs hatte ich eine Menge zu lernen. Nachdem ich mit der Recherche begonnen hatte, dauerte es ungefähr ein Jahr, bis ich endlich alle notwendigen Komponenten zusammengebaut hatte und die Feinabstimmungen am System so eingestellt waren, dass das Sofa balancierten konnte.
Als das Sofa dann endlich wirklich balancierte war es absolute Magie für mich. Ich erinnere mich, dass ich sehr laut einige sehr böse klingende Worte gesagt habe, die ich aber positiv gemeint hab. Wie es ja für viele Menschen der Fall ist, die ein komplexes System aufbauen, sehe auch ich oft nur die Einzelteile meiner Arbeit. Irgendwann einmal werde hoffentlich auch ich dazu in der Lage sein die Arbeit objektiv zu betrachten und dann auch dieses Gefühl der Ungläubigkeit beim Anblick des balancierenden Sofas haben, so wie es die meisten haben.
Wenn wir versuchen etwas zu begreifen, das außerhalb unseres Verstandes liegt, können wir ein wahres Gefühl der Ehrfurcht erfahren, einfach weil uns unsere Grenzen aufgezeigt werden. Das ist zwar kein hilfreicher Geisteszustand um Probleme zu lösen, aber es ist ein echtes Geschenk an die Menschheit, wenn wir solche Gefühle zulassen können. Es ist zwar irgendwie demütigend, aber man kann die Magie wirklich spüren. Eine Reihe von Philosophen haben dieses Gefühl benannt und beschrieben. Ich liebe es, das zu fühlen.
Hast du es zunächst mit anderen Sofas versucht, bevor du dieses wertvolle 170 Jahre alte Sofa auf einem Bein zum balancieren gebracht hast?
Jacob Tonski: Nope. Das arme Ding musste durchaus seine Tracht Prügel einstecken. Das Kopfteil hat sich ziemlich verformt, aber mittlerweile ist es schön abgerundet.
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Natürlich kann eine einzelne unvorsichtige, genau wie eine beabsichtigte, Bewegung die Installation aus der Balance und zu Fall bringen. Wie wichtig ist es für dich, dass das Sofa von Zeit zu Zeit auch einmal umfällt?
Jacob Tonski: Mit ist es lieber, wenn das Sofa nicht zu oft umfällt, denn jeder Fall fordert klarerweise seinen Tribut und begrenzt die Lebensdauer des Sofas. Wir Menschen sehen uns gerne Dinge an, die abstürzen oder brennen. Auf YouTube gibt es unzählige Videos mit diesen Inhalten… Jeder ist herzlich eingeladen das Sofa einmal fallen zu sehen, aber wir können es nicht jeden Tag fallen lassen. Da würde es nicht sehr lange leben.
Bei fast jeder Ausstellungseröffnung schubst irgendjemand das Sofa aus Neugierde um und zu einem gewissen Grad, denke ich, haben diese Personen dadurch die intensivste Erfahrung von allen.
Sie werden den Tag wahrscheinlich nicht vergessen, an dem sie absichtlich eine Skulptur in einer Kunstausstellung umgeworfen haben. Ich mag auch die Vorstellung, dass sie denken, sie hätten es wirklich zerstört. Ich bezweifle, dass einer davon jemals lange genug gewartet hat, um zu sehen wie das Sofa wieder aufgebaut wird. Ich liebe es, dass eine Handvoll Leute dieses dunkle Geheimnis mit sich herumtragen und ich frage mich, ob sie ihren Freunden davon erzählen…
Dein Projekt hat eine Auszeichnung in der Kategorie „Interactive Art“ erhalten. Wie kann „Balance from Within“ interaktiv sein?
Jacob Tonski: „Balance from Within“ interagiert mit der Welt um sich herum. Zwar nutzt es ein sogenanntes geschlossenes Rückkopplungsregelsystem, dennoch gibt es aber Einflüsse auf das System, die im Voraus nicht bekannt sind, wie etwa der Wind, der Stoß eines Passanten oder die kleine schrittweise Verschiebung der einzelnen Teile des Sofas . Die Form der Interaktion ist demnach also nicht Zuseher-zentriert, sondern Objekt-zentriert.
Wer diese einmalige Installation mit eigenen Augen sehen möchte, kann das, von 4. – 8. September beim Ars Electronica Festival im Rahmen der CyberArts-Ausstellung im OK Offenes Kulturhaus Oberösterreich, machen. Am 6. September haben Sie während der Prix-Foren zusätzlich die Möglichkeit persönlich mit dem Künstler Jacob Tonski zu sprechen.