P2P Foundation: Gebündeltes Wissen für alle

Wer hat Zugang zu Wissen und Information im Netz? Wer kontrolliert diesen Austausch, und wer kann davon profitieren? Das sind entscheidende Fragen unserer digitalen Zeit, die die P2P Foundation aufgreift. Für ihre engagierte Arbeit wurde die Non-Profit-Organisation mit einer Goldenen Nica des Prix Ars Electronica 2016 in der Kategorie „Digital Communities“ ausgezeichnet.

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Der Begriff P2P steht eigentlich für „Peer-to-Peer“, also für die Kommunikation unter Gleichen in einem Netzwerk. Das ist im Fall der P2P Foundation jedoch nicht nur technisch zu verstehen, denn bei P2P dreht es sich vielmehr um das gemeinsame Erreichen von Zielen, um Zusammenarbeit und um „Person to person“ sowie um „People to people“. Seit ihrer Gründung vor zehn Jahren liefert die von Michel Bauwens ins Leben gerufene P2P Foundation wichtige Bausteine für eine neue Art an Kommunikation – für einen digitalen Wissensaustausch, der selbstorganisiert über das Internet stattfindet und gänzlich ohne hierarchische Strukturen auskommt.

Beispiele von P2P-Plattformen gibt es viele – ob 3-D-gedruckte Prothesen für Menschen in Krisengebieten, Open-Source-Autos, die in kurzer Zeit zusammengesetzt werden können, oder der von der Mozilla-Foundation entwickelte Internet-Browser „Firefox“, an dem nicht nur professionelle Programmierinnen und Programmierer mitgewirkt sondern ein weltweites Netzwerk an Freiwilligen ihre Kompetenzen eingebracht haben. In all diesen Projekten steckt ein Teil der Idee von P2P.

Die „P2P Foundation“ hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese Peer-to-Peer-Strategien zu analysieren, zu dokumentieren und für eine weitere Nutzung allen Interessierten zur Verfügung zu stellen. Zum Beispiel über das „P2P Foundation Wiki“, eine Plattform, die weltweit das meiste Wissen über P2P bündelt und teilt. Die Non-Profit-Organisation wurde mit einer Goldenen Nica des Prix Ars Electronica 2016 in der Kategorie „Digital Communities“ ausgezeichnet. Ann Marie Utratel und Stacco Troncoso des P2P-Foundation-Teams sprechen im Interview über ihr Verständnis und die Vorteile von P2P.

Einige von uns kennen die Vorteile eines Peer-to-Peer-Netzwerks (P2P) seitdem es die Möglichkeit gibt, Dateien über P2P-Tauschplattformen wie Napster, Gnutella, Kazaa oder BitTorrent herunterzuladen. Was verstehen Sie unter P2P?

Ann Marie Utratel: Obwohl all diese Plattformen auch mit P2P beschrieben werden können, liegt unser allgemeines Verständnis des Begriffs vielmehr auf einer menschlichen Ebene und fokussiert sich nicht ausschließlich auf das Technische. Für uns bedeutet P2P, von Person zu Person, von Menschen zu Menschen. Bei Peer-to-Peer dreht es sich um dynamische Beziehungen – es beschreibt den Prozess, wie Menschen zusammenkommen und sich in einer nicht-hierarchischen Ebene selbst organisieren, um gemeinsame Werte zu schaffen. Prozesse wie diese geschehen seit Beginn der Menschheit, aber mit dem Aufkommen des Internets kommt es immer schneller zur weltweiten Nutzung von P2P.

Stacco Troncoso: Allerdings gibt es sehr viele unterschiedliche Auffassungen, was P2P eigentlich ist. Entscheidend für uns ist jedoch, ob diese Peer-to-Peer-Dynamiken ihre Werte bündeln und daraus ein Gemeingut schaffen können. Eine Plattform wie Airbnb zum Beispiel scheint oberflächlich gesehen P2P zu nutzen, da sich eine Gruppe von Leuten zusammentut, um günstige Unterkünfte für Reisende zu vermitteln. Aber wie werden hier Gemeingüter geschaffen? Gehört die Person, die jetzt ihr oder sein Haus vermietet, nun zur Gruppe des oberen Managements oder der Investoren von Airbnb? In anderen Worten: besitzen sie nun ein repräsentatives Maß an Entscheidungsbefugnis über die Ressourcen des Unternehmens, die ausgegeben und erzielt werden? Wahres P2P beschreibt ein System aus Interaktionen, das viel mehr horizontal und selbstverwaltet ist. Beliebte Beispiele sind Couchsurfing, Wikipedia und das Linux-Betriebssystem, aber wir sehen ein starkes Aufkommen der P2P-Praktiken auch in den Bereichen der materiellen Produktion, in Politik und Aktivismus. Sobald die Struktur flacher und im Allgemeinen inklusiver wird, weniger top-down, dann sprechen wir von P2P.

P2P Foundation

Credit: Stefano Borghi

Welche Vorteile hat P2P für unsere Gesellschaft?

Stacco Troncoso: Auf das Gemeingut ausgerichtete P2P-Dynamiken fördern den gleichberechtigten Zugang, die Beteiligung und Gerechtigkeit – alles Qualitäten, die helfen, um demokratische Interaktionen zu fördern. Wenn die Zivilgesellschaft etwas von Wert produziert, sind diese Leistungen manchmal unsichtbar.

Ann Marie Utratel: Wir können das sogar direkt in unserer Sprache erkennen, wenn wir diese Form der Werteschaffung beschreiben: „non-governmental“ (nichtstaatlich), „non-profit“ (nicht auf einen Gewinn ausgerichtet) oder der „dritte Sektor“. Es sind vielmehr an den Rand gedrängte Beschreibungen, auch negierende, die einen subtilen Eindruck von Ausreißern oder Aktivitäten von Außenseitern entstehen lassen, die in einer gewissen Weise irgendwie weniger wertvoll erscheinen. Wir glauben daran, dass die Zivilgesellschaft – oder „Peers“ – der wichtigste Akteur ist, der Werte schafft.

Stacco Troncoso: Die Rollen der Regierung und des Marktes könnten sich durch das Anwenden der P2P-Idee dramatisch ändern. Schon jetzt gehören Städte wie Madrid und Barcelona in Spanien und Bologna in Italien zur Spitze der sozialen Innovation und demokratischen Partizipation. Ethische unternehmerische Zusammenschlüsse wie Enspiral und die Fairshares Association zeigen, dass es weit mehr demokratische, faire und anspruchsvollere Alternativen gibt als wir sie in Form von Innovationen der Start-up-Welt kennen.

Ann Marie Utratel: Eine Steigerung von Peer-to-peer-Interaktionen geht einher mit mehr Innovation, Engagement und Kreativität. Es gibt den Menschen Werkzeuge in die Hände und ermöglicht ihnen sich damit verantwortungsvoll in ihrem eigenen Umfeld zu beteiligen.

Was waren die ursprünglichen Gründe, die P2P Foundation vor mehr als zehn Jahren zu gründen?

Stacco Troncoso: Michel Bauwens, unser Mitbegründer, hat bei seinen ersten Forschungen in diese Richtung entdeckt, dass P2P zwar als dynamische Beziehung bereits bestand, es aber zu diesem Zeitpunkt noch sehr unsichtbar war – selbst für die, die sich damit selbst beschäftigten. Es brauchte eine Initiative, um all die Informationen zu sammeln und zu bündeln, um eine solide und integrative Theorie von P2P zu schaffen, um dieses Wissen zu teilen und es anderen Menschen zu ermöglichen, ein robustes Netzwerk aufbauen zu können. All diese Arbeit geschah im Jahr 2005 mit unserem partizipativen Wiki, das sich seitdem immer mehr zu einem detaillierten Forschungsnetzwerk vergrößert hat, das Menschen, Organisationen und Regierungen hilft, auf Ansätze zu wechseln, die auf dem Gemeingut in allen Lebensbereichen basieren.

p2pfoundation.net ist eine umfangreiche Quelle für P2P-Anwendungen. An welche Zielgruppe richtet sich diese Plattform und was finden sie auf diesem Wiki?

Ann Marie Utratel: Unser Publikum ist sehr vielfältig. Zunächst waren es WissenschaftlerInnen und ForscherInnen, AktivistInnen und OrganisatorInnen, AutorInnen und Vortragende. Aber über Social Media, Veranstaltungen und über persönliche Kontakte wurde unser Publikum immer größer und damit ist auch die Zielgruppe des ursprünglichen Wikis immer breiter geworden.

Stacco Troncoso: Unser zentrales Wiki ist sehr umfangreich und weitreichend, beinhaltet über 30.000 Artikel von mehr als 2.000 BenutzerInnen. Wir betreiben auch ein anderes Wiki (Commons Transition), das sich auf ganz bestimmte Lösungen für Veränderungswillige fokussiert, und auch zwei Blogs – eine tägliche „Zeitung“, die die laufenden Aktivitäten der P2P-Bewegung der vergangenen zehn Jahr sichtbar macht, und Commons Transition, das unsere besten Texte hervorhebt und Reportagen sowie Berichte darüber präsentiert. Unsere engagierte Forschungsabteilung, das P2P Lab, veröffentlicht regelmäßig Arbeiten, die sorgfältig das Potential der P2P-Anwendungen analysieren.

Können Sie uns einige aktuelle und innovative P2P-Projekte vorstellen, auf die Sie kürzlich gestoßen sind?

Stacco Troncoso: Beispiele in der materiellen und immateriellen Produktion gibt es zuhauf. So gibt es bestehende Projekte wie das Refugee Open Ware, das Open-Source-Lösungen, Bildung und Prothetik für Menschen in von Krieg verwüsteten Gebieten anbietet. Da gibt es Tabby, ein städtisches Open-Source-Auto, das in weniger als einer Stunde hergestellt werden kann, oder Wikihouse, ein Open-Source-Baukasten, der es allen Interessierten möglich macht, Pläne zu gestalten und herunterzuladen, und daraus Häuser auf leichte Weise herzustellen und aufzubauen. Die wahrscheinlich sichtbarsten Projekte sind der Mozilla-Internetbrowser, der Webserver Apache, das Betriebssystem Linux und dessen Ableger.

Ann Marie Utratel: Neben diesen Fertigungsprojekten begeistern uns aber auch immer wieder P2P-Formen der Regierungsführung in bestimmten Städten, wie ich zuvor schon erwähnt habe. Diese Städte setzen auf Methoden wie den Bürgerhaushalt und die zivilgesellschaftlich orientierte Entscheidungsfindung. P2P ist ein Synonym für Innovation.

diaspora

Gibt es Ihrer Meinung nach ernsthafte Alternativen zu Social-Media-Plattformen wie Facebook oder Suchmaschinen wie Google? Und ist es nicht extrem schwierig, gegen diese Internet-Giganten antreten zu können?

Ann Marie Utratel: Es gibt ernsthafte Alternativen wie GNU social, Duck Duck und Diaspora – aber „ernsthaft“ ist nicht dasselbe wie „wettbewerbsfähig“. Bei letzterem haben wir noch einen langen Weg vor uns. Selbst Menschen, die über die Gefahren dieser zentralisierten Plattformen Bescheid wissen, finden es schwer, sie nicht mehr zu nutzen.

Stacco Troncoso: Die Verbreitung dieser Plattformen stützt sich auf riesigen Investitionsprogrammen und fragwürdigen Geschäftsmodellen, wie zum Beispiel die Bedenken rund um Datenschutz und das Sammeln von Daten ihrer BenutzerInnen. Dadurch war es möglich, nicht nur an Popularität zu gewinnen sondern auch attraktive Benutzeroberflächen zu schaffen. Für dezentralisierte Plattformen, die nicht mit den Daten von BenutzerInnen handeln, ist es viel schwieriger, die notwendigen Mitteln aufzutreiben, die es ihnen ermöglichen könnten, sich realistisch mit diesen Riesen messen zu können.

Ann Marie Utratel: Wir brauchen alternative Finanzierungsmöglichkeiten für Plattformen, die Gemeingut schaffen aber nicht Produkte, und die echte Vorteile den potentiellen NutzerInnen bringen – wie Datenschutz, Eigentum an Informationen und mehr demokratische Schnittstellen.

Ann-Marie UtratelAnn Marie Utratel arbeitet im Kernteam der P2P Foundation in der Kommunikationsabteilung. Darüber hinaus ist sie bei der Commons-Transition-Plattform beteiligt, dem Webmagazin und den dazugehörigen Projekten, sowie im P2Pvalue-Projekt. Außerdem ist sie Mitbegründerin des Guerrilla Translation und Korrespondentin der European Cultural Foundation in dessen Projekt „Connected Actions for the Commons“.

Stacco TroncosoStacco Troncoso kümmert sich um die strategische Ausrichtung der P2P Foundation und leitet das Projekt “Commons Transition”, die zentrale Kommunikationsplattform der P2P Foundation. Er ist auch Mitbegründer von Guerrilla Translation sowie Designer und Redakteur von CommonsTransition.org, dem Blog der P2P Foundation, und der neuen Website der Commons Strategies Group. Seine Kommunikationsarbeit beinhaltet jedoch auch öffentliche Vorträge und den Austausch mit verschiedenen Communities, politischen Entscheidungsträgern und an der Thematik interessierten Personen weltweit.

Hinweis: Mit der großen CyberArts-Ausstellung, den Prix-Foren und der Ars Electronica Gala ist der Prix Ars Electronica beim Ars Electronica Festival „RADICAL ATOMS and the alchemists of our time“ von 8. bis 12. September 2016 kaum zu übersehen. Beim „Prix Forum II – Digital Communities“ am SA 10.9.2016 haben Sie unter anderem die Möglichkeit, mit Stacco Troncoso von der P2P-Foundation in Kontakt zu kommen und aus erster Quelle mehr über die Non-Profit-Organisation zu erfahren!