[Date Prev][Date Next][Thread Prev][Thread Next][Date Index][Thread Index]
INFOWAR: InfoWar. Notizen zur Theoriegeschichte
---------------------------------------------------------
ARS ELECTRONICA FESTIVAL 98
INFOWAR. information.macht.krieg
Linz, Austria, september 07 - 12
http://www.aec.at/infowar
---------------------------------------------------------
Friedrich Kittler
InfoWar. Notizen zur Theoriegeschichte
Kai egeneto polemos en to ourano.
Apokalypse 12, 7
Selbstredend haben nicht erst die neunziger Jahre dieses Jahrhunderts
entdeckt, daß Information im Krieg zählt. Seit jeher sind zwei elementare
Listen, die Krieger vermutlich sowohl von Händlern wie von Priestern
unterscheiden, im Einsatz gewesen. A sucht erstens zu wissen, was B weiß,
ohne daß B von As Wissen weiß. A sucht zweitens sein Wissen an A'
(Untergebene oder Vorgesetzte oder Verbündete) zu übermitteln, ohne daß B von
der Übermittlung, geschweige denn vom übermittelten Wissen weiß.
Aber es lag an dieser wesentlich intersubjektiven Struktur selber, daß sie
eher auf Subjekte als auf Waffen, eher auf Menschen als auf Maschinen
zugriff. Kriege der Vergangenheit züchteten also genau das, was die NATO in
ihrer unnachahmlichen Akronym-Seligkeit zur HUMINT (human intelligence)
degradiert hat. Spione, Agenten, Kundschafter und Geheimboten, seit 1800
schließlich auch Militärattachés in potentiell feindlichen Hauptstädten -: so
ungefähr sah das traditionelle Equipment von Information Warfare aus. Unser
Wort Engel geht zurück auf das griechische angelos, angelos selber aber auf
den persischen Namen jener berittenen Boten, die im Namen ihres Großkönigs
das erste (und selbstredend militärische) Postsystem der Geschichte
bedienten. Krieg entbrannte also, wie die Apokalypse so richtig schreibt1, am
Himmel - aber eben darum war und blieb der InfoWar immateriell.
Technik oder Wissenschaft (falls man diese zwei Felder nach Heidegger
überhaupt noch trennen darf) kam nur in einer einzigen Hinsicht ins Spiel:
bei der Verschlüsselung eigener und der Entschlüsselung feindlicher
Nachrichten. Noch heute heißt ein primitiver alphabetischer Schlüssel nicht
umsonst nach Caesar, dem Feldherrn. Aber die Kriegsgeschichte der geheimen
Information hat auch nach David Kahns bahnbrechenden Codebreakers noch
Geheimnisse. Ungeklärt scheint zum Beispiel, ob es zwischen François Vietas
Erfindung der algebraischen Anschreibbarkeit von Polynomen einerseits und
seiner kryptoanalytischen Tätigkeit in den französischen Religionskriegen
Zusammenhänge gab. (Im einen wie im anderen Fall läuft die Aufgabe
schließlich darauf hinaus, Buchstaben und Ziffern einander zuzuordnen.)
Aber die Informationen, die so gewonnen oder verborgen wurden, waren selber
noch keine Waffen. Deshalb sind in Alteuropa zwar einzelne Schlachten, aber
(soweit ich sehen kann) keine Kriege durch Informationstechnik gewonnen oder
verloren worden. In anderen Kulturen mag das anders ausgesehen haben, aber
zumindest europäische Krieger waren eine ziemlich altmodische oder
traditionsbewußte Kaste. Viel spricht daher für die Annahme, daß erst die
Kopplung zwischen Generalstabsausbildung und Ingenieursausbildung, wie die
Französische Revolution sie durch Gründung der Ecole polytechnique 1794
institutionalisiert hat, Informationssysteme als Waffensysteme begreifbar
machte. 1809 jedenfalls hat Napoleon einen ganzen Feldzug - ausgerechnet
gegen das Kaiserreich Österreich - durch Einsatz der damals revolutionären
optischen Telegraphie entschieden. Eine Zeitlang dienten auch Linzer
Kirchtürme, gleichsam als Vorläufer aller Ars electronica, zur Übermittlung
von Napoleons militärischen Geheimbefehlen...
Der Feldzug von 1809 hat also - um es mit Jacques Lacan zu sagen - dem Krieg
eine Funktion der Dringlichkeit oder Urgenz injiziert. Das ebenso höfliche
wie selbstmörderische Warten der französischen Ritterschaft, bis 1415 auch
der englische Feind zur Schlacht von Azincourt bereit war, nahm ein abruptes
Ende. Von der optischen über die elektrische Telegraphie, von der Telegraphie
über den (anfangs strikt militärischen) Funk bis zur Satellitenverbindung ist
die Kriegsgeschichte der letzten zwei Jahrhunderte - nach Virilios These -
reine Dromologie gewesen. Nicht umsonst heißen Verzögerungszeiten ("delays")
im technisch-militärischen Jargon auch Totzeiten. Wer einige Sekunden zu spät
weiß, den bestraft nicht das sogenannte Leben, sondern ein feindlicher
Erstschlag.
Inzwischen dürfte es sich herumgesprochen haben, welche einschneidenden
Folgen diese Kriegsgeschichte auch im zivilen Bereich gezeitigt hat.
(Unbekannt ist bestenfalls geblieben, daß für solche Folgen die
selbstarrogierte Zuständigkeit von Massenmedien-Soziologen nicht hinreicht.)
Während die Waffensysteme aus Holz oder Bronze, Eisen oder Damaszenerstahl
jahrtausendelang die Ausnahmeexistenz einer Kriegerkaste fristeten, hat die
Waffe namens Nachrichtentechnik Kulturen, die vordem auf zivilen (um nicht zu
sagen priesterlichen) Speichermedien wie Buch oder Buchdruck gründeten, zu
Informationsgesellschaften umgeschaffen. Radio ist nur der um seine
Wechselsprechmöglichkeit amputierte Heeresfunk des Ersten Weltkriegs,
Fernsehen nur der zivile Zwilling der Radarschirme des Zweiten. Ganz zu
schweigen von der Computertechnik, deren kryptoanalytische und damit
militärische Herkunft im Fall Alan Turings immerhin seit 1974 kein britisches
Staatsgeheimnis mehr ist, während etwa im Fall Claude E. Shannons
(Communication Theory of Secrecy Systems) noch immer Nachrichtensperre zu
herrschen scheint.
Im Anglo-Amerikanischen heißt intelligence ja nicht nur Intelligenz, sondern
auch Geheimdienst, also Wissen des Wissens des Feindes. Das gute alte C^3 I
stand für Command Control Communications Intelligence, das aktuelle C^4 I
trägt - als Command Control Communications Computers Intelligence - auch noch
der Hardware heutigen Wissens Rechnung. Im Informationskrieg jedenfalls
fallen Waffen- und Wissenssysteme, materielle und immaterielle Rüstung
zusammen. Der Himmel, an dem Johannes einst Krieg ausbrechen sah, scheint zur
strategischen Gegenwart geworden. Electronic Warfare, das Paradigma des
späten Kalten Krieges, spielte noch in den menschenabgewandten, weil jeder
Wahrnehmung entzogenen Gefilden der Physik, Information Warfare kann von
jedem PC-bestückten Schreibtisch aus beginnen. Es ist leichter, billiger und
damit auch proliferationsträchtiger, eine feindliche CPU als ein feindliches
Phasenradar nachzubauen. Deshalb haben schließlich auch die Händler und
Ingenieure (etwa bei Advanced Micro Devices) von den Kriegern gelernt, daß
Wissen nur als Wissen des Wissens des Feindes (etwa bei Intel) zählt. Reverse
engineering heißt schlicht und einfach, eigene Produktionstechniken auf
Feindspionage zu gründen. Diese neue Intelligenz, weil sie die gute alte
Ignoranzvermutung (bei Konkurrenten, Werbekunden und Käufern) ablöst, wird
noch zu schaffen machen.
Reverse engineering heißt aber auch, daß Subjekte alias Untertanen - im
Unterschied zu denen von Holz und Bronze, Eisen und Damaszenerstahl -
vielleicht wieder eine Chance haben. Wenn die US Army ihrem alten Traum,
stets über das beste proprietäre Computerequipment zu verfügen, eine Absage
erteilt und sich statt dessen - wie der Rest der Welt auch - auf dem freien
Markt bedient, entsteht wieder so etwas wie waffentechnische
Chancengleichheit. Das aber hat welthistorische Folgen. Den Szenarios von
Information Warfare zufolge gibt es, leider, keine nationalstaatlichen
Gewaltmonopole mehr. Mit Mafias und Kartellen, NGOs und Terrorbanden geht das
Ende Hobbes'scher Bürgerkriege selber zu Ende. Wenn Machtsysteme mit
Betriebssystemen und Computernetzen nachgerade zusammenfallen, werden sie auf
einer Ebene anfällig, die prinzipiell intelligibel ist: auf der Ebene des
Codes.
Am Horizont von Information Warfare taucht deshalb nicht nur der -seit
Etatisierung der Nachrichtentruppen ebenso vertraute wie langweilige - Appell
auf, Zukunftskriege gefälligst nach Maßgaben und Budgetträumen der neuesten
Waffengattung zu führen. Es taucht auch eine Figur wieder auf, die mit der
Gründung stehender und das hieß nationalstaatlicher Heere gründlich
vertrieben schien: der Künstler-Ingenieur. Heute weiß nur noch die
Kunstgeschichte, daß die gefeierten Genies der Renaissancekunst nicht bloß
Gemälde oder Gebäude schufen, sondern Festungen durchrechneten und
Kriegsmaschinen konstruierten.2 Wenn das Phantasma aller Information Warfare,
den Krieg auf Software und seine Todesarten auf Betriebssystemabstürze zu
reduzieren, wahr werden könnte, würden einsame Hacker den Platz des
geschichtsmächtigen Künstler-Ingenieurs einnehmen. Der Krieg am Himmel bräche
tatsächlich aus.
1 und Luther so schwach übersetzt
2 Vgl. etwa Edgerton, Samuel Y., Jr., The Heritage of Giotto's Geometry: art
and science in the eve of the scientific revolution. Ithaca (Cornell
University Press) 1991.
---------------------------------------------------------------------------
You are subscribed to the German language version of INFOWAR
To (un)subscribe the English language version send mail to
infowar-en-request@aec.at (message text 'subscribe'/'unsubscribe')
To (un)subscribe the German language version of send mail to
infowar-dt-request@aec.at (message text 'subscribe'/'unsubscribe')
Send contributions to infowar@aec.at
--------------------------------------------------------------------------
[INFOWAR] [subscribe]