Interview mit Christina „Chra“ Nemec, nominiert für den Prix Ars Electronica 2011

Der Prix Ars Electronica ist seit 1987 eine interdisziplinäre Plattform für alle, die den Computer als universelles Gestaltungsmedium in ihrer künstlerischen Arbeit an der Schnittstelle zwischen Kunst, Technologie und Gesellschaft einsetzen. Die Preise werden in den Kategorien „Computer Animation / Film / VFX“, „Interactive Art“, „Digital Musics & Sound Art“, „Hybrid Art“, „Digital Communities“. „u19 – freestyle computing“ und „[the next idea] voestalpine Art and Technology Grant“ vergeben. Weitere Informationen, ehemalige PreisträgerInnen findet man auf https://ars.electronica.art/prix/de/about/

Spannend ist der Prix für das Festival auch deswegen, weil alle PreisträgerInnen im Rahmen der CyberArts-Ausstellung im OK eine Präsentationsplattform bekommen.

In der Kategorie „Digital Musics & Sound Art“ ist Christina Nemec, aka chra, nominiert, eine Musikerin, die schon einiges an Erfahrung gesammelt hat im Musikmeer, das öfter auch ein Sumpf ist. Sie spielte unter anderem bei Mopedrock und SV Damenkraft, hat sich auch als Solokünstlerin einen Namen gemacht, mit ComfortZone betreibt sie seit ein paar Jahren ihr eigenes Label. Vergangenes Wochenende war sie beim Donaufestival im Rahmen von „Female Pressure“ unterwegs, und auch das Werk, für welches sie für den Ars Electronica Prix nominiert ist, entstammt einem feministischen Kontext, es handelt sich nämlich um ein Auftragswerk zum hundertjährigen Jubiläum des Weltfrauentages.

Ars Electronica: Erzähl uns über dein Werk, wie ist es entstanden?

Christina Nemec: Es handelt sich dabei um ein Auftragswerk zum Weltfrauentag, und ich habe mir überlegt: Wie kann man das Thema aufgreifen, ohne zu plakativ zu werden? Wenn man jetzt ein Jahr hernimmt, dann kann mans durch 12 dividieren und ich habe dann 12 Frauen aus der Geschichte, Musikerinnen, Künstlerinnen, Politikerinnen, genommen. Ich habe mich für einige entschieden, Virginia Woolf, Käthe Leichter. Die Jahreszahlen beziehen sich entweder auf einen Geburtstag oder Todestag, aber ich wollte nicht nur tote Personen nehmen, Ceija Stojka lebt noch, bei Tine Plesch ist es so, sie war Musikjournalistin, Herausgeberin von Testcard (Magazin für Popkultur), und sie ist ja leider 2004 verstorben. Phoolan Devi war eine indische Freiheitskämpferin, „Bandit Queen“ wurde sie genannt, da wurden ja ganz viele komische Sachen reinprojeziert, sie wurde sehr sexualisiert dargestellt. Bei Wendy Carlos habe ich das Jahr 1979 gewählt, weil das das Jahr war, wo sich Walter Carlos offiziell sozusagen zur Wendy Carlos umoperiert hat, damit nicht nur biologische Frauen vorkommen. Ich wollte es möglichst breit gefächert haben, auch Alice Walker oder Miriam Makeba aus Afrika oder eben Buffy Saint Marie, sie ist indogen, sie hat ganz berühmte Songs geschrieben, die von Folksängern erst berühmt gemacht wurden, wie das halt oft ist.

Dann habe ich mir überlegt: Wie kann ich da jetzt überhaupt vorgehen? Man sagt ja oft, es gibt weibliche Musik, da bin ich ja total dagegen. Es gibt feministische Musik, oder Musik von Frauen, aber es gibt keinen weiblichen Sound. Jedenfalls habe ich dann zuerst ins Mikrofon geklatscht, habe daraus Sinuswellen herausgerechnet und immer das Jahr als Frequenz angenommen, bei Virginia Woolf also 1882 Hz und das habe ich dann ein bissl verfremdet und habe immer aus dem Resultat dann das Nächste gemacht. Man kann also sagen: Das ist komplett Konzeptmusik, digitale Musik, da ist überhaupt keine Emotion drin und in jedem Stück ist die Information vom vorigen Stück drin, weil wir ja auch immer auf das Aufbauen, was die anderen schon gemacht haben, deswegen sind die Stücke auch chronologisch sortiert.

Außer bei den Remixes gibt es keine Beats, es ist keine Melodie drin, es ist nichts, was man mit Bauchmusik verbinden würde, es ist reine Mathematik oder Reissbrettmusik. Die tiefen Sinuswellen haben schon einen warmen Sound, es ist nicht kalt, und es ist dadurch dann schon auf eine Weise harmonisch, aber ich wollte da nie in Verbindung gebracht werden, ich hasse es, wenn man dann unter Frauenmusik oder irgendwas eingeordnet wird.

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Ars Electronica: Du hast kurze Zeit in Linz gelebt, weißt du, wann du das erste Mal etwas von der Ars Electronica mitbekommen hast?

Chra: Ja, das weiß ich noch genau, weil ich ja das vorige Stadtwerkstattgebäude gekannt habe, wo ja jetzt das AEC ist. Die Stadtwerkstatt ist ja schon lange dort, wo jetzt die Tribüne hingebaut wurde, und dort war ich sehr oft auf Konzerten, auf Punkkonzerten, kann man nachlesen in „Es muss was geben“ von Andi Kump, über die Linzer Szene. In der alten Stadtwerkstatt, also in dem Musikfeld, da sind ja immer sehr wenige Frauen, aber dort waren schon damals Performance- und Multimediakünstlerinnen, da habe ich einmal eine lustige Performance gesehen, mit einem Eisblock und einem Bügeleisen, das hat mir sehr gut gefallen, sie ist dagesessen, hat den Eisblock gehalten und hat ihn gebügelt und irgendwann war der Eisblock zerschmolzen, hat ewig gedauert. Die Leute haben damals schon wirklich mit Video und so experimentiert dort, und die Entstehung der Ars Electronica hatte vielleicht etwas zu tun mit dieser Kunstszene.

Ars Electronica: Es ist ja eigentlich interessant, dass die AE gerade in Linz entstanden ist.

Chra: Linz hat halt eine andere Bedeutung in Österreich dadurch dass es diese Industriestadt war, Stahlstadt oder so.

Ars Electronica: Wie ist das jetzt, wie nimmst du Linz wahr?

Chra: In Linz ist immer relativ viel gefördert worden. Aber es kommt nicht von ungefähr, dass Mitte der 80er Jahre die Musikszene in Linz wesentlich relevanter war als in Wien, plötzlich, mit dem Hardcore, mit der Kapu, unter anderem. Linz musste versuchen, umzudenken, weil die Industrie als Arbeitgeber nicht mehr so relevant ist, die VOEST ist natürlich trotzdem noch ein großer wirtschaftlicher Faktor, aber Linz hat sich dann anders positionieren müssen, eh auch im Zuge der Kulturhauptstadt 2009. Die Stadt ist sauberer geworden, hat sich rausgeputzt, den Hauptplatz und so.

Was sich nicht so sehr verändert hat, ist die Szene, weil ja die handelnden Personen noch die selben sind, teilweise.

httpv://www.youtube.com/watch?v=SLrd5k4OcBk

Ars Electronica: Das Thema das diesjährigen Festivals lautet „ORIGIN – Wie alles beginnt“. Was hast du für Assoziationen mit Ursprung, mit Origin?

Chra: Ich weiss es nicht, eher negative. Heimat und so Zeugs. Patriotismus.

Ars Electronica: Letztes Jahr wars „Repair – Sind wir noch zu retten?“. Dieses Jahr kooperieren wir stark mit CERN, die beschäftigen sich ja mit Fragen des Ursprungs, gewissermaßen.

Chra: Da ich ja überhaupt an nichts glaub, tu ich mir mit diesen Sachen ziemlich schwer. Schwierige Frage, ist aber sehr interessant. Origin, wo kommen wir her? Also irgendwas muss es geben, an Gott glaube ich natürlich nicht. Da ist mir der Ansatz vom CERN wesentlich sympathischer.

Ars Electronica: Aber dein nominiertes Werk hat schon mit dem Thema Ursprung zu tun?

Chra: Ja, wenn man jetzt an Feminismus denkt.

Ars Electronica: Der Ursprung deines Werks ist ein relativ technischer. Glaubst du, trifft das auch auf unseren Ursprung zu?

Chra: Ich glaub, dass es ein Zufall ist, einfach. Und dadurch hat sich das halt irgendwie entwickelt, aus irgendeinem Zufall heraus. Die Bedingungen haben wahrscheinlich gepasst, sonst wären wir ja nicht so. Aber wenn man das so sehen möchte, dann hätte ich noch weiter zurückgehen müssen, es gab ja schon im 16. Jahrhundert, es gab immer schon Frauen, die sich in irgendeiner Form für Rechte eingesetzt haben. Aber da wollte ich jetzt auch nicht irgendwelche Theaterprinzipalien aus dem 16. Jahrhundert nehmen, obwohl da gibt es eine, die ich eigentlich sehr bewundere, für ihre Arbeit damals. Aber klar, jedes Denken hat irgendeinen Ursprung, und wir denken ja nicht komplett etwas Neues, sondern etwas, das wir schon irgendwann aufgenommen haben, sei es bewusst oder unterbewusst.

Chra ist das nächste Mal am 25. Mai in Linz zu sehen, im Roten Krebs. Cherry Sunkist stellt dort ihr Album „Projection Screens“ vor. http://ifek.servus.at/?p=1444

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