Island, Verfassung 2.0

Es gibt Länder, die wissen um die Wirkung des Internets bescheid, und eines davon ist Island. Vorgestellt wird eine großartige Idee, die auf großartige Weise umgesetzt wird, Island braucht nämlich eine neue Verfassung, und wie die entwickelt wird, ist fantastisch!

Island taucht auf dem Radar der meisten relativ selten auf. Besonders groß ist die Insel nicht, besonders viele Leute leben dort auch nicht, die Fussballmannschaft ist nicht sehr gefürchtet, und auch sonst tritt das Land eher zurückhaltend auf.

Vulkanausbrüche haben dafür gesorgt, dass Island als aviatischer Störenfried gilt, zumindest seine Natur, auch wenn Niki Lauda sagt, es gäbe keine Aschewolken. Wenn man ein wenig zurückblickt, erinnert man sich an den drohenden und gerade noch abgewendeten Staatsbankrott, auch auf der kleinen Insel, die zwei Schiffsreisetage vom europäischen Festland entfernt ist, wussten die Banken, wie sie aus heißer Luft Geld und beim Verpuffen des letzteren trotzdem für nichts haften mussten. FreundInnen der musikalischen Berieselung denken seelig an die meist nicht peinlichen Beiträge zum Eurovision Song Contest, und man isst auf Island gern Fisch. Ach ja, Geysire gäbe es noch, beeindruckende Fotos kann man schießen, wenn die mal loslegen, und die Wärme der Erde nutzen die Isländerinnen und Isländer geschickt, um Energie zu erzeugen, und, nun, Wärme, für zu Hause.

Was viele wohl nicht wissen, ist die Tatsache, dass Island zu der Speerspitze der Internetnutzung gehört, und zwar weltweit. Gemeinsam mit skandinavischen Ländern hat man schon relativ früh entdeckt, dass das Internet an sich kein böses Monstrum ist, dass Papierwege, Stempelmarken, Öffnungszeiten von Ämtern und dergleichen Schönheiten des täglichen Daseins nicht unbedingt überall nötig sind, und dass man vieles auch relativ elegant und stressfrei auf elektronischem Weg erledigen kann. Doch was dieser Kleinstaat diesmal aus dem Hut gezaubert hat, ist in vielerlei Hinsicht beeindruckend: Man möchte eine neue Verfassung ausarbeiten, eine Verfassung, die an die Umstände, in denen wir heute leben, besser angepasst ist, als die alte. Außerdem stammt die alte eigentlich aus Dänemark, man wollte sie immer wieder ändern, aber man weiß, wie das mit Provisorien manchmal ist. Weil das Schreiben einer Verfassung an sich schon ein recht großer Schritt ist, hat man sich gedacht: Wir lassen alle unsere Staatsbürgerinnen und Staatsbürger mitmachen, zumindest alle, die wollen. Wir eröffnen Accounts auf Facebook, Twitter,YouTube und Flickr und lassen die Leute am Nachdenkprozess des von ihnen gewählten 25 köpfigen Kommitees teilhaben, der ganze Prozess läuft auch noch komplett transparent ab, man sieht, wer etwas geschrieben hat, wer etwas kommentiert hat, was gestrichen, was aufgenommen wurde, und alle paar Tage gibt es noch dazu Interviews mit den Mitgliedern des Kommitees, die einen zusätzlichen Einblick in die Arbeit geben, und diese Interviews erscheinen auf Youtube.

Jetzt werden wahrscheinlich einige Unkerufe ans Licht kommen. Einer könnte sein: „Bei der Bevölkerungsanzahl ists ja leicht, das sind so wenige, die könnte man ja fast direkt befragen.“ Das ist sicher richtig, aber natürlich auch kein Argument gegen diese Herangehensweise. Ein anderer Einwand könnte lauten: „Sollte eine Verfassung nicht die grundlegendsten Spielregeln des täglichen und nicht täglichen Mit- und Gegeneinanders festhalten, und sollten diese Spielregeln nicht mehr oder weniger zeitlos sein?“ Das ist natürlich ein gültiger Einwand, allerdings weiß man spätestens seit der Verfassung der Europäischen Union, dass man sich für Verfassungen im Modernen Sinn durchaus mehrere Wochen Zeit nehmen kann, um sich gesamtheitlich durchzuarbeiten. Es heißt ja auch nicht, dass diese Verfassung, die womöglich neu entstehen wird, eine Sammlung von allen Ideen und Gedanken der gesamten Bevölkerung Islands sein wird. Aber als ein ziemlich umfangreiches und trotzdem effektives Stimmungsbild für das, was die Bürgerinnen und Bürger als wichtig empfinden, ist dieses Vorhaben und diese Idee schon nicht schlecht. Destilieren kann man anschließend immer noch.

Jedenfalls beeindruckend, dass ein Staat, auch möge er nicht der größte sein, das Internet ernst nimmt, und eine ernstgemeinte Initiative startet, die Kanäle zu nutzen, die sonst von Seiten der Politik meist nur mit dummen Populismus zugeleert werden. Denn einerseits hören wir oft vom Einfluss von Twitter, Facebook und Konsorten, aber sie müssen ja nicht immer im Kontext mit einer Revolution stehen, als Staat kann man diese Werkzeuge durchaus auch gleich konstruktiv nutzen. Wenn er dies nicht tut, und ansonsten auch nicht gerade gute Arbeit leistet, findet man sich in einer Situation wieder, wie wir sie in Nordafrika hatten und immer noch haben, wo Bürgerinnen und Bürger die zur Verfügung stehenden Mittel zur Vernetzung in die Hand genommen haben.

Dass man diese Mittel auch umkehren kann, das präsentiert freilich beispielsweise China, dessen Regierung gerade herauszufinden versucht, wie ihnen die einzelnen Regionalregierungen Milliarden von Schulden aufladen konnten, ohne dass sie etwas bemerkt hätte. Dort nutzt der Staat das Internet auch durchaus kompetent, zur Zensur und zur Verfolgung von Aufrührerinnen und Aufrührern, nicht erst seit gestern, und sogar Giganten wie Google haben es nicht leicht, dort einen Fuss auf die Erde zu bekommen. Information ist gut. Information ist böse. Und über die Mittel und Wege, diese weiterzugeben, wird bei der Ars Electronica im Rahmen der „Democracy“-Vorträge diskutiert.

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