POST CITY

Die Stadt, so hat es allen Anschein, ist die erfolgreichste Überlebensstrategie der Menschheit und nach wie vor auch ihr größtes gesellschaftliches Experiment. Die digitale Revolution hat diesem Experiment eine neue Dimension gegeben.

paris1889

Jeder zweite Mensch lebt heute in der Stadt

Um 1900 lebten 165 Millionen Menschen oder etwa 10 Prozent der Weltbevölkerung in Städten. 2015 sind es 3,4 Milliarden Menschen oder 54 Prozent der Weltbevölkerung und sie verbrauchen 80 Prozent aller Energieressourcen. Angespornt durch die Hoffnung auf bessere (Über-)Lebenschancen und eine selbstbestimmte Lebensgestaltung werden sie ständig mehr.
(Foto: Library of Congress / Alphonse Liébert)

Tokyo

Die Stadt als Symbol und Brennpunkt

Schon immer waren Städte aber nicht nur Orte, die Sicherheit und Wohlstand versprachen, sondern auch Symbole für Freiheit und Fortschritt. Und sie waren immer auch schon Brennpunkte aller gesellschaftlichen Konflikte, die jede Epoche für sich zu bewältigen hatte und hat. Die Gebäude, die wir heute bauen, und die Verkehrswege, die wir jetzt legen, werden das Stadtbild des 21. Jahrhunderts bestimmen und daher maßgebliche Bedeutung für die Lebensqualität der nächsten Generationen entfalten.
(Foto: Zara Seemann)

Bionic Arch

Urbane Chancen und Konflikte

Die Art und Weise, wie wir jetzt Öffentlichkeit durch städtebauliche Maßnahmen schaffen und durch Partizipation sowohl Transparenz als auch Integration ermöglichen und vor allem, wem wir die Verantwortung dafür übertragen bzw. überlassen, entscheidet über Chancen wie über Konflikte und Krisen dieses Jahrhunderts.
(Foto: Vincent Callebaut)

Wie soll eine Stadt also aussehen, die dem 21. Jahrhundert gewachsen ist? Oder anders gefragt, wie werden unsere Lebensräume aussehen, wenn wir mit der digitalen Revolution durch sind, wenn die globale Verschiebung von politischer und wirtschaftlicher Macht greift, wenn der Klimawandel so richtig beginnt? Die POST CITY ist die Stadt „danach“, die Stadt nach all dem, was gerade als die vielleicht größte und folgenschwerste Umwälzung seit Jahrhunderten begonnen hat. Eine Entwicklung, die den einen als Krise, den anderen wiederum als Aufbruch in eine bessere Zukunft gilt.

Die Ars Electronica 2015 legt den Fokus auf vier Themenkreise, um aus lokaler wie globaler Perspektive zu untersuchen, wie die aktuellen und prognostizierten Entwicklungen das Aussehen und die Funktionen unserer Städte verändern werden:

Future Mobility

Die Stadt als Verkehrsknoten

Future Work

Die Stadt als Arbeitsplatz und Marktplatz

Future Citizens

Die Stadt als Gemeinschaft

Future Resilience

Die Stadt als Bollwerk

Future Mobility

Die Mobilität von Menschen, Dingen und Daten

conceptcarFoto: Mercedes-Benz
Sich selbst steuernde Fahrzeuge sind eine nur allzu logische Konsequenz der digitalen Revolution. Von den Mainframe-Dinosauriern über die PCs und Mobile-Devices zum Ubiquitous Computing – das Ausmaß der allgegenwärtigen vernetzten Geräte und Dinge wird eine Realität schaffen, in der Menschen am Steuer ungefähr so exotisch sein werden wie Pferdekutschen im heutigen Straßenverkehr. Wie solche Robot-Cars und -Trucks funktionieren werden, davon haben die Ingenieure schon eine sehr gute Vorstellung; wie sie sich in unser Leben und unsere Lebensräume integrieren, wie sie mit uns und wir mit ihnen kommunizieren werden, zählt dagegen noch zu den großen Unbekannten.
Auch wenn meist technische Aspekte der – von uns gewünschten – Mobilität im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen, ist es ziemlich sicher die unfreiwillige Mobilität der Menschen, von der die Städte am stärksten betroffen sein werden. Die Völkerwanderung des 21. Jahrhunderts zieht vom Land in die Großstädte und macht dabei nicht an nationalen Grenzen Halt.

Future Work

Arbeit und Arbeitslosigkeit im 21. Jahrhundert

RobotFoto: ABB
Wird die Stadt von morgen den Menschen Arbeit geben können? Welche Jobs wird sie bereitstellen – nach der großen Wirtschaftskrise? Werden wir zur Kenntnis nehmen müssen, dass es ein Danach gar nicht geben wird, weil die Krise keine vorübergehende Erkältung ist, sondern ein chronisches Leiden an der Unfähigkeit, sich an neue Realitäten anzupassen? Oder steigen wir vielleicht doch wie ein Phönix aus der Asche, als kreativer und innovativer Motor einer Zukunft mit menschlichem Augenmaß. Sicher ist, dass die vielbeschworene Re-Industrialisierung Europas wohl eher eine der Roboter und Automaten sein wird, als eine der ArbeiterInnen.
Die Stadt als Ort für Wissenschaft und Forschung, als Zentrum der Bildung, wird jedenfalls eine entscheidende Rolle dabei spielen, jene Kompetenzen und Kulturtechniken hervorzubringen, die wir benötigen, um der sozialen Polarisierung und Segregation entgegenzuwirken.

Future Citizens

Offene Gesellschaft oder Weltregierung des Internet?

ugandaFoto: Andrew Regan
Städte zeichnen sich durch ihre soziale Integrationsfähigkeit aus, durch ihre Infrastrukturen und Netzwerke, ihre Einrichtungen für Wissenschaft und Kultur und allem voran durch das Gemenge von Kompetenz, Wissen und Initiative ihrer Bewohnerinnen und Bewohner. Wie organisieren wir aber das gesellschaftliche Zusammenleben nach den Geburtswehen der digitalen Gesellschaft mit all ihren neuen Ökonomien, mit ihrer Neuordnung von Privat und Öffentlich, mit ihren Kollateralschäden und Zivilisationskrankheiten, die wir noch bei keiner neuen Technologie zu verhindern wussten?
Die industrielle Revolution hat Republiken und Demokratien mit sich gebracht, welche politischen Modelle werden aus der digitalen Revolution hervorgehen? Welche Governance-Systeme können die Handlungskompetenzen der digital vernetzten Bürgerinnen und Bürger, das soziale Kapital der Zukunft, zufriedenstellend zum Einsatz bringen?

Future Resilience

Zuflucht und Widerstand

securitycameraFoto: Dmitry G
Schon immer war die Stadt ein Ort der Zuflucht und Sicherheit. Der „städtische Friede“ des Mittelalters war eine entscheidende Grundlage für den ökonomischen Erfolg der Städte. Die baulichen wie administrativen Ausformungen dieser Sicherheit hatten weitreichende Auswirkungen auf das Aussehen der Städte und das Zusammenleben der BewohnerInnen.
Ob Cyber-Crime, totale Überwachung oder Klimawandel – wovor muss uns die Stadt von morgen schützen, wogegen muss sie sich wehren können und womit? Nicht zuletzt weil diese Herausforderungen und Probleme in den Städten als erstes aufschlagen, werden sie auch die Orte sein, an denen die Lösungen dafür zu suchen sind.
Angesichts all dieser Fragen wird schnell klar, dass es für ihre Beantwortung eine weitreichende, alle gesellschaftlichen Bereiche ein bindende Kooperation braucht. Denn die Herausforderungen sind größer als die Fähigkeiten einzelner ExpertenInnenkreise. Neue Querschnittkompetenzen, neue Berufsbilder und neue Bildungsmodelle sind dringend erforderlich.
Es ist nun schon ein Vierteljahrhundert her, seit die Entwicklung des WWW das Internet von einer rein technischen Infrastruktur für Computer zu einem Netzwerk der Menschen werden ließ, zu einem sozio-kulturellen „Pluriversum“, das mittlerweile von mehr als 2,6 Milliarden Menschen bevölkert wird.

Das Schlagwort „Digitale Stadt“ wurde durch „Smart City“ abgelöst, doch die Frage, wie das digitale Äquivalent einer Stadt beschaffen sein müsste, bleibt weiterhin offen. Vielleicht müssen wir ja unsere bisherige Vorstellung von Stadt als eine geografische Ballung von Ressourcen hinterfragen und das Internet selbst als die Megacity der Zukunft betrachten.

Gerfried Stocker

Gerfried Stocker (AT)

Gerfried Stocker ist Medienkünstler und Ingenieur der Nachrichtentechnik. 1991 gründete er x-space, ein Team zur Realisierung interdisziplinärer Projekte, das zahlreiche Installationen und Performance-Projekte im Bereich Interaktion, Robotik und Telekommunikation realisiert hat. Seit 1995 ist Gerfried Stocker künstlerischer Geschäftsführer von Ars Electronica. 1995/96 entwickelte er mit einem kleinen Team von KünstlerInnen und TechnikerInnen die richtungsweisenden neuen Ausstellungsstrategien des Ars Electronica Center und betrieb den Aufbau einer eigenen Forschungs- und Entwicklungsabteilung, des Ars Electronica Futurelab. Unter seiner Führung wurden ab 2004 das Programm für internationale Ars Electronica Ausstellungen aufgebaut und ab 2005 die Planung und inhaltliche Neupositionierung für das neue und erweiterte Ars Electronica Center aufgenommen und umgesetzt.

Christine Schöpf

Christine Schöpf (AT)

Seit 1979 wirkt Christine Schöpf maßgeblich an der Entwicklung von Ars Electronica mit. Zwischen 1987 und 2003 war sie federführend an der Konzeption und Organisation des Prix Ars Electronica beteiligt und ist seit 1996 gemeinsam mit Gerfried Stocker für die künstlerische Leitung des Ars Electronica Festival verantwortlich. Christine Schöpf studierte Germanistik und Romanistik und war anschließend als Radio- und Fernsehjournalistin tätig. Von 1981 bis 2008 leitete sie das Kultur- und Wissenschaftsressort des ORF Oberösterreich. Seit 2009 ist Christine Schöpf Honorarprofessorin der Kunstuniversität Linz.

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