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LIFESCIENCE: Genschutzinitiative - Patentverbote sind keine Patentrezepte

 
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ARS ELECTRONICA FESTIVAL 99
LIFESCIENCE
Linz, Austria, September 04 - 09
http://www.aec.at/lifescience
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                                  Donnerstag, 13. Mai 1999 Neue Zürcher 
Zeitung  
Genschutzinitiative - Patentverbote sind keine Patentrezepte

                                   Von Martin Breitenstein*

                                   Warum, so fragt man sich, sähe ein
                                   Initiativkomitee nicht ungern einen
                                   Gegenvorschlag zu seinem eigenen
                                   Volksbegehren, obschon es Volkes Wille
                                   angeblich so trefflich widerspiegelt?
                                   «Jüngste Umfragen belegen, dass die
                                   Initiative die Grenze zwischen erlaubter
                                   und verbotener Gentechnik genau dort
                                   zieht, wo die grosse Mehrheit im Volk es
                                   will.» Diesen stolzerfüllten Befund hat
                                   die Trägerschaft der Genschutzinitiative
                                   (Natur- und Tierschutzkreise,
                                   Konsumentenstiftung, Kleinbauern,
                                   Entwicklungsorganisationen) kürzlich den
                                   Medien verkündet.

                                   Die Achillesferse dieser Interpretation
                                   freilich ist die Humanmedizin, wo
                                   gentechnische Anwendungen klar für
                                   positive Ausschläge auf der Werteskala
                                   des Volksempfindens sorgen. Während die
                                   Initianten behaupten, dieser Bereich
                                   werde von der Initiative kaum tangiert,
                                   halten Hochschulforschung und
                                   Pharmaindustrie gewichtige
                                   Gegenargumente bereit. Sie verweisen
                                   darauf, dass in Tat und Wahrheit
                                   Forschung und Entwicklung gelähmt
                                   würden, weil gentechnisch veränderte
                                   Versuchstiere nicht mehr verwendet
                                   werden dürften. Das Freisetzungsverbot
                                   würde zudem den Einsatz gentechnisch
                                   veränderter Impfstoffe verunmöglichen.
                                   Eine Untersuchung der Interpharma
                                   (Verband der pharmazeutischen Firmen)
                                   kommt gar zum Schluss, dass selbst die
                                   zukunftsträchtige Gentherapie gefährdet
                                   sein könnte: Ein Patient, der nach einer
                                   solchen Behandlung das Spital verlässt,
                                   würde strenggenommen unter das Verbot
                                   der «Freisetzung genetisch veränderter
                                   Organismen in die Umwelt» fallen.

                                   Der Gegenvorschlag, den eine Minderheit
                                   der vorberatenden Kommission für
                                   Wissenschaft, Bildung und Kultur des
                                   Nationalrates nächste Woche dem
                                   Ratsplenum beliebt machen will - jener
                                   Gegenvorschlag eben, zu dem die
                                   Genschutz-Initianten «keine
                                   Berührungsängste» haben -, reagiert
                                   prompt: Vom Verbot gentechnisch
                                   veränderter Tiere wird abgerückt im
                                   Bereich der Medizin und ihrer Forschung;
                                   das generelle Freisetzungsverbot für
                                   gentechnisch veränderte Organismen wird
                                   verschiedentlich gelockert. Was
                                   allerdings bleibt, ist das
                                   Patentierungsverbot für Tiere und
                                   Pflanzen, wie es auch die
                                   Genschutzinitiative verlangt. Die
                                   Patentfrage - ein Thema, bei dem die
                                   emotionalen Wogen besonders hochgehen -
                                   wird damit zum eigentlichen Pièce de
                                   résistance.

                                   Für den politischen Prozess ist das
                                   besonders problematisch. Die meisten
                                   Gegner der Patentierbarkeit von
                                   gentechnisch veränderten Lebewesen
                                   argumentieren nämlich kategorisch. Für
                                   sie sind Patente ein ethisch-moralisches
                                   Tabu, weil sie darin die totale
                                   Verdinglichung des Lebens - Tiere und
                                   Pflanzen reduziert zu Maschinen - sehen.
                                   Sie deklarieren damit das Thema als
                                   Frage der Weltanschauung; nicht
                                   verhandelbar, keinerlei Kompromissen
                                   zugänglich.

                                   Ihnen gesellen sich jene
                                   Gentechnikgegner zu, die Taktisches im
                                   Schilde führen und auf diese Weise den
                                   Gentechnologen in den Arm fallen wollen:
                                   Ohne Patentschutz für gentechnische
                                   Erfindungen könnten die meist sehr hohen
                                   Forschungsaufwendungen schlicht nicht
                                   mehr amortisiert werden. Der Anreiz in
                                   die Gentechnologie zu investieren wäre
                                   damit nicht mehr vorhanden.

                                   Kritisiert man die Patentierung von
                                   Lebewesen als unethisch, muss man
                                   indessen folgendes bedenken: Eine
                                   Gesellschaft, die mit Tieren Handel
                                   treibt, die sich von Tieren ernährt,
                                   eine Gesellschaft, die bisher das
                                   Eigentumsrecht an Tieren und Pflanzen
                                   noch nie ernsthaft angezweifelt hat,
                                   müsste konsequenterweise all dies in
                                   Frage stellen, wenn sie die
                                   Patentierbarkeit von gentechnisch
                                   veränderten Lebewesen verwirft. Denn das
                                   Patentrecht ist ein schwächeres Recht
                                   als jenes des Eigentums, es verschafft
                                   nicht die umfassende Verfügungsgewalt.
                                   Dem Patentinhaber gehört ein
                                   patentiertes Lebewesen nicht. Das Patent
                                   räumt dem Erfinder (Patentinhaber) das
                                   Recht ein, anderen zu verbieten, seine
                                   Erfindung nachzumachen oder gewerblich
                                   zu benützen. Es ist zeitlich auf
                                   höchstens 20 Jahre beschränkt. Ein
                                   Patentierungsverbot wäre ungerecht. Es
                                   würde den Erfinder um seine geistigen
                                   Eigentumsrechte prellen. Dritte könnten
                                   sich dann ungehemmt seiner Innovation
                                   bedienen, daraus wirtschaftlichen Nutzen
                                   ziehen, ohne dass der Erfinder in
                                   irgendeiner Weise daran teilhaben würde.

                                   Genaugenommen stösst der Kampfruf «Keine
                                   Patente auf Leben!» ins Leere.
                                   Patentiert wird nämlich nicht Leben als
                                   solches, sondern nur die in einem
                                   Lebewesen verkörperte Erfindung;
                                   patentiert wird die auf Grund
                                   gentechnischer Veränderung erzielte neue
                                   Funktion. Auch der Einwand, gentechnisch
                                   veränderte Lebewesen könnten gar nie
                                   Erfindungen sein, sondern beruhten
                                   bestenfalls auf (nicht patentierbaren)
                                   Entdeckungen, trifft nicht zu. Natürlich
                                   kann nicht das Leben eines Tieres oder
                                   einer Pflanze erfunden werden. Doch die
                                   Biotechnologie hat neben der
                                   biologischen eben gerade auch eine
                                   technologische Seite. Und diese Seite
                                   beruht auf Verfahren, die durch
                                   Innovationskraft des Menschen entwickelt
                                   werden.

                                   Patente auf Tiere und Pflanzen
                                   grundsätzlich zuzulassen heisst nicht,
                                   die (notabene auch verfassungsrechtlich
                                   geforderten) Ansprüche der «Würde der
                                   Kreatur» schlechterdings in den Wind zu
                                   schlagen. Die Frage lautet hier:
                                   Verletzt die gentechnische Veränderung
                                   die Würde der Kreatur? Diese Frage kann
                                   nicht abstrakt beantwortet werden. Sie
                                   muss am konkreten Fall, anhand einer
                                   Güterabwägung, entschieden werden. Zwar
                                   gibt es im geltenden Patentrecht eine
                                   Klausel, wonach keine Patente auf
                                   Erfindungen erteilt werden, die gegen
                                   die öffentliche Ordnung oder die guten
                                   Sitten verstossen. Konkretere
                                   Anweisungen des Gesetzgebers fehlen
                                   jedoch, und die Praxis hat den Passus
                                   bisher sehr weit (also zugunsten einer
                                   weitgehenden Patentierung) ausgelegt.
                                   Interessant ist darum - als echte
                                   Alternative zu einem zu grobschlächtigen
                                   generellen Patentierungsverbot - der
                                   Verbesserungsvorschlag eines
                                   Rechtsgutachters. Er möchte ins
                                   Patentrecht eine Liste mit Beispielen
                                   aufnehmen, die Richtschnur dafür wären,
                                   welche Erfindungen aus ethischen Gründen
                                   nicht patentiert werden dürfen. Das
                                   Patentverfahren soll zudem durch eine
                                   Ethikkommission begleitet werden.

                                   Patentpolitik kommt zudem nicht weit,
                                   wenn sie national-introvertierter Sicht
                                   verhaftet bleibt und die internationale
                                   Ebene ausser acht lässt. Mit einem
                                   Patentierungsverbot würde die Schweiz
                                   zwei zentralen Abkommen, denen sie
                                   angehört, zuwiderhandeln: Frontal
                                   kollidieren würde sie mit dem
                                   Europäischen Patentübereinkommen (EPÜ),
                                   eine Streifkollision gäbe es zudem mit
                                   dem WTO/Trips-Abkommen über
                                   handelsbezogene Aspekte des geistigen
                                   Eigentums. Die Schweiz müsste mit
                                   Retorsionsmassnahmen rechnen. Auf der
                                   Hand liegt zudem, dass Firmen an
                                   Standorte abwanderten, wo sie
                                   Patentschutz erhalten. Für ein
                                   Patentverbot hätte die Schweiz
                                   wirtschaftlich einen hohen Preis zu
                                   zahlen.

                                   Auch dort, wo heutige Patentnormen nicht
                                   so recht auf die neuen Konstellationen
                                   der Biotechnologie passen wollen, ist
                                   der internationale Weg zur Lösungssuche
                                   unumgänglich. Ein Beispiel sind die
                                   Nord-Süd-Beziehungen. Hier besteht die
                                   Gefahr, dass die genetischen Ressourcen
                                   der Entwicklungsländer durch die
                                   Industriestaaten behändigt und
                                   monopolisiert werden. Darum sollen
                                   Rechte nicht nur an gentechnisch
                                   veränderten, sondern auch an natürlichen
                                   Ressourcen entwickelt werden. Erste
                                   Schritte in diese Richtung hat die
                                   Konvention über die Biodiversität getan.
                                   Ziel ist eine gerechte Balance zwischen
                                   dem Patentschutz für die Gentechnologie
                                   einerseits und der Abgeltung für die
                                   Erhaltung der biologischen Vielfalt
                                   anderseits. Der einzige Beitrag, den ein
                                   schweizerisches Patentierungsverbot
                                   «leisten» würde, wäre die Behinderung
                                   des Technologietransfers in
                                   Entwicklungsländer.

                                   Eine Schweiz, die aus vermeintlich
                                   höherer moralischer Einsicht Patente auf
                                   gentechnisch veränderte Tiere und
                                   Pflanzen verbietet, setzt kein Signal,
                                   sondern isoliert sich bloss.

                                   Neue Zürcher Zeitung vom
                                   21./22. September 1996 (Leitartikel)
                                   * Der Autor ist Mitglied der
                                   NZZ-Inlandredaktion.

                                   © AG für die Neue Zürcher Zeitung NZZ
                                   1999
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