Aufstände in Spanien und Syrien: Interview mit Leila Nachawati
Gastpost von David Sasaki
Die spanisch-syrische Aktivistin und Journalistin Leila Nachawati war im Zentrum von zwei der größten Protestbewegungen der letzten Jahre sowohl in Syrien, als auch in Spanien. Als eine erfahrene Social-Media-Strategin, die flüssig Spanisch, Arabisch und Englisch spricht, hat Leila eine einzigartige Perspektive auf die Geschehnisse in Spanien und Syrien, und auf ihre Ursachen. Sie wird beim Public Square Squared-Symposium am 4. September im Brucknerhaus am Podium stehen. Das folgende Interview wurde per email geführt.
DS:Was hat die spanische 15 M Bewegung erreicht? Was möchte sie erreichen?
LN:Die Bürgerinnen und Bürger haben ihre Stimmen erhoben, nachdem sie geradezu apathisch einem politischen System zusahen, welches auf die Bedürfnisse und Forderungen eines großen Teils der Bevölkerung überhaupt nicht eingeht. Hunderttausende haben sich übers ganze Land verteilt gegen Korruption, Arbeitslosigkeit und das Zwei-Parteien-System ausgesprochen und eine repräsentative Demokratie gefordert. „Wir sind nicht das Spielzeug von Politikern und Bankern“, das war das Motto der Demonstrationen. Ich glaube, dass das wichtigste Ergebnis die Erkenntnis ist, dass man nicht allein ist, dass die Leute sich zusammentun können, um die Veränderungen voranzutreiben, die sie gerne sehen würden, sie können und sollen sich am politischen Geschehen beteiligen. Die 15 M – Bewegung, die sich jetzt auch auf die Nachbarstaaten ausdehnt, wo Kommitees und Vereine gegründet werden, hat der traditionellen Politik eine Lektion in Sachen Demokratie erteilt. Das Ziel ist es, die Bürgerbeteiligung an Politik und Gesellschaft wieder zu stärken (in den 80er Jahren wurden soziale Institutionen von politischen Strukturen geschluckt). Konkrete Ziele sind auch die Änderung des Wahlrechts, welches im Moment ein Zwei-Parteien-System fördert, man verlangt transparente Wahllisten und Antikorruptionsgesetze. Viele Spanierinnen und Spanier würden diese Änderungen gerne sehen.
DS: Spanier und Araber haben eine stark verflochtene gemeinsame Geschichte. Laut manchen Statistiken stammen 8% der spanischen Bevölkerung aus dem arabischen Raum. In den letzten Jahren standen allerdings Spannungen rund um Migrationspolitik und den Umgang mit Arabern in Spanien im Vordergrund der Beziehungen. In diesem Frühjahr wurden wir Zeugen von neuen Wegen der Zusammenarbeit, junge AktivistInnen auf beiden Seiten des Mittelmeers schlossen sich im Internet und auf den Straßen zusammen, um gegen Zensur und Korruption zu protestieren. Du hast auf Al Jazeera geschrieben, dass die Spanisch-Syrische Community, die jahrzehntelang sehr still war, hat in im Zuge der spanischen Proteste Möglichkeiten gefunden, mehr Freiheiten im eigenen Land zu erarbeiten. Spürst du die Unterstützung aus Spanien in den Protestbewegungen im Nahen Osten und in Nordafrika? Hast du einen Unterschied wahrgenommen, wie Araber in Spanien behandelt werden?
LN:Ich würde nicht behaupten, dass das Verhältnis so angespannt ist, die Ko-Existenz zwischen den Leuten ist größtenteils friedlich, wenn man bedenkt, dass die Nachbarschaft von Ländern mit so großen sozialen und wirtschaftlichen Unterschieden nicht immer einfach ist. Es gab einige Spannung nach dem 11. März, nach den Terrorattacken in Madrid, als einige SpanierInnen Vorurteile gegenüber Arabern und dem Islam und gefährliche Verallgemeinerungen, basierend auf religiösen und kulturellen Hintergründen, entwickelten. Bewegungen in der MENA-Region haben geholfen, ein komplexeres und vielschichtigeres Bild zu zeichnen. Plötzlich weiß man mehr über die arabische Welt als das, was man in den traditionellen Medien sieht, und zum ersten Mal sehen wir eine arabische Zivilgesellschaft, eine friedliche arabische Protestbewegung, arabische Organisation, die effiziente Nutzung von Technologie, arabische Bloggerinnen und Blogger. Endlich sehen wir die Vielschichtigkeit dieser Gesellschaften, die vorher sehr platt dargestellt wurden. Und als jemand, die sowohl in Spanien, als auch in Syrien gelebt hat, hab ich immer davon geträumt, dass der Norden und der Süden des Mittelmeers näher zusammenrücken, um sich auszutauschen und zusammenzuarbeiten. Sie brauchen einander.
DS:Als Spanisch-Syrische Bürgerin, die Spanisch, Arabisch und Englisch spricht, was ist dir an der Darstellung der Proteste in Spanien und Syrien in den internationalen Mainstreammedien aufgefallen?
LN:Es gibt eine große Lücke zwischen traditionellen Strukturen (sowohl politische, als auch mediale Strukturen) und den Formen bürgerlichen Ausdrucks, die wir sehen. Eine große Lücke zwischen den alten und neuen Formaten. Das sieht man an Hand der Berichterstattung über die Mobilisierungen in Spanien. Sie wurden größtenteils von den BürgerInnen weitergereicht, die Technologie sehr clever eingesetzt haben, und durch kleine, unanabhängige websites wie Periodismo Humano. Die meisten traditionellen Medien sind daran gescheitert, eine Bewegung zu verstehen, die die alten Formate herausfordert und dezentral organisiert wird, was ja in Wahrheit der Charakter des Internets an sich ist. In Syrien ist diese Lücke offensichtlich noch größer, weil das Regime die Medien besitzt und die jede Form von freier Meinungsäußerung zu unterdrücken sucht. Keine JournalistInnen haben die Erlaubnis, die Ereignisse aus dem Land heraus zu dokumentieren, und auch im Internet wird die Zensur immer weitreichender. Aber zum ersten Mal dringt Information nach außen, trotz all der Widerstände, und das liegt an digitalen Werkzeugen wir Youtube und Handys, welche den BürgerInnen die Möglichkeit gegeben haben, ihre Geschichten zu zeigen, ohne von traditionellen Medien abhängig zu sein.
DS: Auf deiner Profilseite aufPeriodismo Humano, wo du sehr aktiv bist, zitierst du Fred Dallmayr: „Beinahe überall, wohin man in unserer heutigen Welt hinschaut, sieht man entweder einen Kriegszustand oder einen schwellenden Krieg. Das einzige Gegenmittel gegen diese Gefahren, die einzige Heilung ist der ehrliche Dialog.“ Es ist ein inspirierendes Zitat, aber als der syrische Präsident Bashar al-Assad einen „nationalen Dialog“ ausrief, haben die meisten Protestierenden und Anführenden sich geweigert, an diesem Dialog teilzunehmen. Kann durch Dialog alles erreicht werden, oder gibt es Grenzen?
LN: Ehrliche Dialog kann nur unter Gleichen stattfinden. Wie soll man einen Dialog führen, während Menschen bombardiert, gefoltert und eingespert werden, weil sie Freiheit verlangen?