UNPLUGGED
Kunst als Schauplatz globaler Konflikte
Ars Electronica 2002
Linz, 7. - 12. September
www.aec.at/unplugged

Open Air - A Radiotopia
on site - on line - on air
www.aec.at/radiotopia


Was ist eine Utopia, und - vielleicht noch wichtiger - wo befindet sie sich? Das Wort "Utopia" geht zurück auf den 1516 entstandenen gleichnamigen Roman von Sir Thomas More, der aus den griechischen Silben "(o)u" für "nicht" und "topos" für "Ort" ein Kunstwort geschaffen hat. Lange Zeit wurde die erste Silbe als von "eu" abgeleitet angesehen, was "gut" bedeutet, und so dem eigentlichen Wortsinn des "Nicht-Ortes" die Nebenbedeutung eines "guten Ortes" hinzufügt.
Heutzutage ist ein Radio etwas Alltägliches, auch wenn nicht jedem bewusst ist, dass "Radio" eine Kurzform für "Radiotelegrafie" ist und die drahtlose Übertragung bzw. den Empfang von Kommunikationssignalen bedeutet, die aus elektromagnetischen Wellen bestehen, die ihrerseits zur Übertragung jener elektrischen Impulse verwendet werden, in die ein Klang konvertiert wurde.
Im Rahmen dieses Projekts bedeutet "Radio" aber auch "Internet-Radio", das die Klangdaten mittels des Internets transferiert. Jetzt kombiniert man einfach die beiden Begriffe "Radio" und "Utopia", und schon hat man das am weitesten reichende Projekt des diesjährigen Ars Electronica Festivals: Etwas Gutes, das nirgends und überall ist, einen Ort, der existiert und gleichzeitig nicht existiert, etwas, an dem jeder mit Input, Transformation und Output auf der Basis von Klang teilhaben kann.

Open Air - A Radiotopia, als Wort wie als Ereignis eine Weltpremiere, ist ein Projekt, dessen Idee und Konzept gemeinsam entwickelt wurden von Rupert Huber (Komponist und Musiker sowie künstlerischer Leiter des Projekts), Gerfried Stocker (Direktor des Ars Electronica Centers und einer der künstlerischen Leiter des Ars Electronica Festivals) und Andres Bosshard (Klangkünstler). Das Projekt zielt darauf ab, in weltweitem und utopischem Maßstab die Koexistenz verschiedener Ansätze zu einem Klangnetzwerk zu demonstrieren. Ein Klangnetzwerk ist ein dezentralisiertes und koordiniertes System, das nicht von nur einer Stelle aus gesteuert wird. Alle Koordinaten im Klangnetzwerk sind gleichwertig, und die KünstlerInnen im Netzwerk müssen sich mit den Klängen auseinandersetzen, die ihnen über das Netz zugesandt werden, und mit ihnen spielen, bevor sie sie weitersenden. Das Netzwerk erlaubt den freien Fluss von Tönen und Klängen, und dies ist ein Schlüsselcharakteristikum des Projekts: Alle Ansätze sind willkommen, für alle ist Raum in Radiotopia. Die Klangnetzwerk-Datenbank ist unter www.aec.at/radiotopia zugänglich und stellt sozusagen das Herzstück des Projekts dar. Diese von August Black/USA und Norbert Math/A in Zusammenarbeit mit dem künstlerischen Leiter entwickelte Datenbank gliedert sich in drei Teile: Input, Transformation und Output. Klänge können an die Datenbank gesandt, dort abgemischt und verändert und jederzeit zur Verwendung in lokalen Radioausstrahlungen abgerufen werden.

Die Open Air - A Radiotopia - Soirée am Abend des Dienstag, 10. September, im Linzer Brucknerhaus ist ein Beispiel für den musikalischen Teil von Radiotopia. Input-Transformation-Output bilden die Basis für die Gala-Performance der Radiotopia-Soirée. Die Komponisten Lukas Ligeti/A und Alexander Balenescu/UK/R - um nur zwei der zahlreichen international renommierten KünstlerInnen zu nennen, die an diesem Abend auftreten werden - repräsentieren beispielsweise den Input, indem sie ihre Instrumente (Klavier, elektronisches Schlagzeug bzw. Violine) solo und im Dialog mit dem Klangnetzwerk spielen. Die sorgfältig archivierten und in der Datenbank verfügbaren Netzklänge werden auch während der Soirée von so prominenten Klangkünstlern wie dem Schweizer Andres Bosshard transformiert, der ein Meister im Mixen und Verteilen von Netzwerkklängen auf subtile und dennoch komplexe Weise in einem Konzertsaal unter Ausnützung aller Möglichkeiten des Mischpultes und der Lautsprecher ist. Der Output wiederum ist das Netzwerk in seinem ungefilterten Zustand, das im Verlauf des Abends immer wieder in den Konzertsaal eingespielt wird.

In Übereinstimmung mit dem Festival-Thema "UNPLUGGED - Kunst als Schauplatz globaler Konflikte" werden an diesem Abend - wie während des gesamten Festivals - Klänge von weltweiten Partnern in Afrika, Asien, Südamerika und im Pazifik in das Brucknerhaus eingespielt und einen Kernpunkt in der Konfrontation der KünstlerInnen mit Klängen aus Kulturen bilden, die nicht ihre eigenen sind. Open Air - A Radiotopia demonstriert an diesem Abend in kompakter Form die gesamte Zielbreite des Projekts:
On site, am örtlichen Schnittpunkt in Linz, werden Musiker live mit ihren Instrumenten nach Punkten und Orten suchen, wo sie auf Klänge aus anderen Kulturkreisen zugehen und in sie eintauchen können - und sie werden sie finden, weil Klang und Musik universal sind, auch wenn ein Viertelton im europäischen Musikkontext keine exakte Entsprechung in einem arabischen, indischen oder anderen Zusammenhang finden mag.
Der on line-Aspekt wird in Linz durch die Klangdatenbank repräsentiert. Diese wird die im Verlauf des Sommers gesammelte Klanginformation live in die Soirée einspeisen und auch das Basismaterial für die Beschallung des Klangpark (im Donaupark) liefern. Der on air-Aspekt wiederum wird in lokalem Zusammenhang durch die Ausstrahlung bei der Soirée und im Klangpark dargestellt, in seiner reinsten und dem Begriff "Radio" in Radiotopia vollständig entsprechenden Form allerdings in der Langen Nacht der Radiokunst, die vom Ö1 Kunstradio des ORF produziert wird (Konzept: Anna Friz/USA, Elisabeth Zimmermann/A). Ausgestrahlt auf Ö1 und über die Kurzwelle von Radio Österreich International sowie weltweit von Radio-Partnern des ORF, folgt diese Radionacht im Anschluss an die Soirée am 10. September von 23.05 Uhr bis 5.00 Uhr. Indem sich die Radionacht auf Poesie und Klanglandschaften konzentriert, zeigt sie einen weiteren Schwerpunkt unter den vielen unterschiedlichen Möglichkeiten der Verwendung des gesammelten und verfügbaren Inputs auf.

Open Air - A Radiotopia demonstriert, dass Vielfalt in friedlicher Koexistenz leben kann. Sprache, Musik, Klang, Text, alles, was den an diesem Projekt Interessierten einfällt, ist willkommen, und das Radiotopia-Projekt bietet all diesen Ideen eine Plattform für die Dauer des diesjährigen Festivals. Internet, Post, Fax, Telefon, persönliches Erscheinen - jede nur erdenkliche Form des Inputs von jeder beliebigen Stelle des Globus sind offen und zugänglich, soweit es die Ressourcen des Festivals zulassen. Der künstlerische Leiter Rupert Huber sieht seine Aufgabe nicht darin, zu entscheiden, was zur Aufnahme in die Projektdatenbank zugelassen wird, sondern vielmehr "die Koexistenz aller Inputs und Ansätze möglich zu machen." Und Rupert Huber betont , dass die erste sichtbare Manifestation des Projekts Open Air - A Radiotopia ein internationaler Aufruf zur Beteiligung war. Das gesamte Projekt basiert auf einer weltweiten Beteiligung von Menschen, die in jeder ihnen möglichen Form in den Radiotopia-Schaffungsprozess eintreten.

Diese Radiotopia, die auf Initiative von Ars Electronica entstanden ist und die umfangreichste aller diesjährigen Eigenentwicklungen darstellt, ist ein Vermächtnis an die Zukunft ebenso wie eine Basis für die Realisierung des Projekts selbst. Eines der Hauptziele ist es, etwas von Menschen zu hören, deren Existenz innerhalb dieses Kontexts von Klangnetzwerken uns bisher unbekannt war - ungeachtet unterschiedlicher kultureller oder sozialer Weltanschauungen. Als Metapher für die Behandlung globaler Konflikte erläutert Rupert Huber das Projekt so: "Wenn man durch ein beliebiges Medium herausfindet, dass man etwas Gemeinsames hat - etwa die Musik und die Kommunikation -, und dass die Empfänger der Kommunikation antworten, selbst wenn sie nicht vollkommen verstehen, was sie eigentlich empfangen haben, wohl aber in der Absicht, eine Geste des Händereichens zu machen - dann kann man froh darüber sein, dass die Menschheit eine so große Vielfalt aufweist."

Open Air - A Radiotopia

Künstlerische Leitung: Rupert Huber
Projektidee und Konzept entstanden in zahlreichen Gesprächen zwischen Rupert Huber, Gerfried Stocker, Andres Bosshard und Elisabeth Zimmermann.
Remote Station Linz mit:
Alexander Balanescu, August Black, Isabella Bordoni, Andres Bosshard, Lorenzo Brusci - Timet, Anna Friz, Rupert Huber - Tosca, Hubert Hawel, Silvia Keller, Steffen Kopany, Lukas Ligeti, Norbert Math, Joachim Schnaitter, Thomas Schneider, Andreas Strauss, Sandra Wintner, Elisabeth Zimmermann, Pamela Z, u.v.a.

Der Name "Radiotopia" ist eine Idee von Renée Gadsden.
Der Name "Open Air" ist eine Idee von August Black.

OMV Klangpark
Opening & Live Performance: 8. September, 19.30 Uhr
Real Space Streaming: 9.-12. September, 11.00-19.00 Uhr
Donaupark

Open Air - A Radiotopia - Soirée
10. September, 19.00-22.00 Uhr
Brucknerhaus, Donaupark

Lange Nacht der Radiokunst
10. September, 23.05-05.00 Uhr
on air: ORF Ö1 Kunstradio, Radio Österreich International (Kurzwelle - kHz 5945), Radio 1476 (Mittelwelle)
on line: www.kunstradio.at/radiotopia


Eine Kooperation von Ars Electronica mit ORF Kunstradio.
Der Klangpark ist gesponsert von OMV.