Goodbye Privacy
Mobile and Ubiquitous – nicht mehr bloß hier und jetzt, sondern zu jeder Zeit an jedem beliebigen Ort präsent zu sein – diese schon lange und mit großer Euphorie in neue Technologien projizierte Sehnsucht ist manifeste Realität unserer Zeit geworden, gewoben aus einem Netz, in dem jeder Teilnehmer ein Knoten ist, jeder Ausgang auch ein Eingang und jeder Empfänger auch Sender.
Zu jeder Zeit, an jedem Ort können wir telematisch in Aktion treten, können jeden erreichen und sind für jeden erreichbar. Mithilfe unserer Avatare, Blogs und Tags nehmen wir digitale Gestalt an und legen uns mehr oder weniger fantasievolle Second Identities zu.
In rasendem Tempo entstehen gänzlich neue Formen von Öffentlichkeit mit neuen Spielregeln und (manchmal auch) neuen Hierarchien. Doch nicht nur Technologie, Information und Kommunikation sind omnipräsent geworden, sondern vielmehr wir selbst: zu jeder Zeit an jedem beliebigen Ort aufspürbar, auf wenige Meter genau lokalisierbar durch die digitale Signatur unserer Handys, klassifizierbar durch die umfassenden Persönlichkeitsprofile, die wir nichts ahnend auf all unseren digitalen Ausflügen hinterlassen.
Unter diesen Vorzeichen vollzieht sich eine weit reichende Neupositionierung und -bewertung der politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Bedeutungen von Öffentlichkeit und Privatheit.
Goodbye Privacy
Goodbye Privacy – unter diesem Titel wird sich Ars Electronica, das außergewöhnliche Festival für Kunst, Technologie und Gesellschaft, von 5. bis 11. September 2007 mit den aktuellen Phänomenen einer neuen Alltagskultur zwischen den Angstszenarien einer perfekten Überwachung und der lustvollen Begeisterung an medialer Selbstdarstellung beschäftigen.
In der für Ars Electronica so typischen Art wird sich diese Recherche in Form von Symposien, Ausstellungen, Performances und Interventionen über die Konferenz- und Ausstellungsräume hinaus in die ganze Stadt ausbreiten.
KünstlerInnen, erfahrene Netzwerk-NomadInnen, TheoretikerInnen, aber auch TechnologInnen und RechtsexpertInnen werden die Themenstellung aus sehr unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchten:
- Was können wir dem Eindringen der Kontrollund Überwachungstechnologien entgegensetzen?
- Wie lässt sich aus den neuen kulturellen Paradigmen der Web 2.0-Communities eine soziale Dynamik generieren, die auch in der realen Welt Relevanz entfalten kann?
- Wie können wir den individuellen Kontrollverlust über unsere digitale Persona verhindern?
- Wie sehen die neuen Strategien zur Schaffung von Privatsphäre in der transparenten Welt der digitalen Medien aus?
- Können wir die vorkonfigurierten virtuellen Öffentlichkeiten der Entertainment-Industrie aufbrechen und selbst gestalten?
- Wie können wir die gesamte kulturelle Vielfalt unserer Gesellschaften in diese neu entstehenden sozialen und öffentlichen Räume tragen?
Egal ob es sich um Räume und Plätze der realen Öffentlichkeit oder um die neue Öffentlichkeit der digitalen Netzwerke handelt – immer feinmaschiger wird das Netz der Kameras, biometrischen Sensoren, RFIDs, Logfiles, Trojaner etc. Riesige Datenbanken und hoch entwickelte Algorithmen zur automatisierten Verknüpfung und Auswertung all dieser Spuren vervollständigen diese neue Dimension der Surveillance.
Doch nicht nur die Tiefe und hohe Auflösung dieser digitalen Durchleuchtung ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung, sondern auch die Tatsache, dass der Zugang zu den notwendigen Technologien und gesammelten Daten immer mehr aus der Domäne der offiziellen, staatlichen Autorität in kommerzielle und individuelle Interessenslagen verschoben wird.
Und so finden wir uns in einer eigenartigen Ambivalenz wieder: Selbstdarstellung, Inszenierung des eigenen Image ist die Devise. Mach dich öffentlich, feature dich selbst oder du bist raus aus dem Spiel. Die Individualisierung und Personalisierung der Online-Medien war einst die Gegenwelt zur Öffentlichkeits- Gleichschaltung der elektronischen Massenmedien.
Im Zeitalter von Second Life, MySpace and YouTube ist Individualisierung nun Mainstream, und die Suche nach dem nächsten Upgrade geht los, nach dem, was uns nach dem Selbstdarstellungshype der Web 2.0 Epoche erwartet.Wenn man die Sackgasse der reinen Verweigerungshaltung einmal ausnimmt und nach adäquaten Formen einer Subkultur sucht, wird es spannend: Die digitale Revolution ist uns mittlerweile ganz vertraut, aber wie wird die digitale Rebellion aussehen?
Gerfried Stocker, Christine Schöpf
Das Symposium zur Ars Electronica 2007 wird von Ina Zwerger und Armin Medosch kuratiert.
Ina Zwerger ist Wissenschaftradakteurin bei ORF-OE1. Armin Medosch ist Künstler und Autor.
Wir veröffentlichen unseren Blick auf die Welt und auf uns selbst in Weblogs und auf Plattformen wie Flickr, MySpace oder YouTube. Viele Services, die unter dem SchlagwortWeb 2.0 vermarktet werden, beruhen auf Vernetzung, Austausch und der freiwilligen Preisgabe privater Informationen. Mit dem neuen “öffentlichen Leben” verändert sich der Wert des Privaten. So gibt es zwar mehr und bessere Formen der Partizipation, doch mit der massenhaften Inszenierung der Privatheit sinkt ihr kultureller Stellenwert. Zugleich werden personenbezogene Daten ökonomisch hoch gehandelt. Mit den automatisiert auswertbaren Datenspuren entstehen neben neuen Diensten auch Architekturen der Überwachung und Kontrolle. Zahlen, Daten, Messbarkeit – das sind längst gebräuchliche Mittel der sozialen Selektion und Organisation. Sind wir auf dem besten Weg in eine transparente Gesellschaft? Oder wird mit dem Loblied auf die neue Offenheit dem Machtmissbrauch im Geheimen erst recht Vorschub geleistet? Im diesjährigen Symposium diskutiert die Ars Electronica ein Update der Privatsphäre unter den neuen Bedingungen von Terrorismus und Web 2.0.
Ina Zwerger, Armin Medosch
„Grundrechte in der digitalen Welt“ 5. und 6. Sept. 2007
Eine Besonderheit im Programm der Ars Electronica 2007 ist die Konferenz „Grundrechte in der digitalen Welt“, die von der Vereinigung österreichischer RichterInnen in Zusammenarbeit mit Ars Electronica organisiert wird.
Ganz im Sinne der grundlegenden Idee von Ars Electronica, die Belange von Kunst, Technologie und Gesellschaft auf einer gemeinsamen Plattform zu diskutieren, wird dabei der transdisziplinäre Austausch zwischen RechtsexpertInnen, IT-SpezialistInnen und KünstlerInnen eine große Rolle spielen.