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Anti-Personen-Minen: Freund oder Feind?

Eine Studie über militärischen Einsatz und Nutzen von Anti-Personen-Minen

1. Zusammenfassung der Ergebnisse

Anti-Personen-Minen gelten im Kriegsfall gemeinhin als unverzichtbare Waffen, deren unterschiedslose Wirkung gegen Kombattanten und Zivilisten durch ihren Einsatz gemäß den militärischen Regelungen und dem Humanitären Völkerrecht gemildert werden könnte. Um dieser weitverbreiteten Annahme nachzugehen, untersucht die Studie "Anti-Personen-Minen - Freund oder Feind?" die Folgen des Einsatzes von Anti-Personen-Minen in Konflikten seit 1940, und zwar sowohl durch reguläre Streitkräfte, als auch durch Aufständische und Operationen gegen solche. Öffentlich zugängliche Untersuchungen über den tatsächlichen Nutzen von Anti-Personen-Minen waren bisher nicht vorhanden.

In den 26 untersuchten Konflikten finden sich wenige Belege dafür, daß Anti-Personen-Minen in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht oder militärischen Regeln eingesetzt werden. Die Fakten zeigen vielmehr, daß diese Waffen im Zuge von Feindseligkeiten kaum "korrekt" Anwendung fanden, und zwar weder durch die regulären Armeen "moderner" Staaten, noch durch jene der Entwicklungsländer oder von Bürgerkriegsparteien, und daß sich die Folgewirkungen des Gebrauchs von Anti-Personen-Minen keineswegs so beschränken lassen, wie dies Völkerrecht und militärische Regeln vorsehen. Die Fakten belegen in den allermeisten Fällen den "unvorschriftsmäßigen" Gebrauch dieser Waffen, sei es absichtlich, durch Unachtsamkeit oder aufgrund der Unmöglichkeit, spezifische Regeln in der Hitze des Gefechts zu beachten. Die Studie legt nahe, daß es nicht sinnvoll ist, den fortgesetzten Gebrauch von Anti-Personen-Minen unter der Voraussetzung als gerechtfertigt anzusehen, daß dies unter sorgfältiger Kontrolle geschähe.

Egal ob Anti-Personen-Minen korrekt verwendet werden oder nicht, muß man auch nach ihrem legitimen militärischen Nutzen fragen. Hier zeigen die überprüften Fälle wiederum, daß sie selbst bei massivem Einsatz üblicherweise wenig oder gar keinen Einfluß auf den Ausgang von Feindseligkeiten haben. In keinem der untersuchten Konflikte haben Anti-Personen-Minen dessen Ausgang beeinflußt. Im besten Fall hatten Anti-Personen-Minen einen marginalen taktischen Wert, allerdings nur unter ganz bestimmten Bedingungen (die in Punkt 2. "Schlußfolgerungen" erläutert werden).

Weiters angesprochen wird ein oft übersehener Aspekt der Kriegführung mit Landminen, nämlich die Kosten und Gefahren für jene Streitkräfte, die Anti-Personen-Minen selbst einsetzen. Der Preis für das ordnungsgemäße Verlegen von Anti-Personen-Minen, für das Markieren von Minenfeldern und für deren ständige Beobachtung ist hoch, sowohl den finanziellen, als auch den personellen Aufwand betreffend. Damit verbunden sind wesentliche Investitionen, das Risiko für die eigenen Streitkräfte sowie der Verlust von taktischer Beweglichkeit. Selbst wenn diese Aufwände berücksichtigt werden, ist die Wirkung von Anti-Personen-Minen eine sehr beschränkte, bisweilen sogar kontraproduktive.

Technische Neuerungen wie etwa die Entwicklung fernverlegbarer Minen haben bereits begonnen, das Wesen der Kriegführung und des Einsatzes von Minen dramatisch zu verändern. Die verstärkte Verwendung solcher Minen könnte den Charakter der zukünftigen Minen-Kriegführung dramatisch verändern und ihren Umfang erhöhen. Die Folgen dieser und anderer Entwicklungen, wie etwa der Einführung von Rüttelzündern, "fuel-air"-Anti-Personen-Minen (Minen mit Brennstoff-Luft-Explosivstoff) und Hybrid-Minen, die gleichermaßen gegen Personen und Panzer verwendet werden können ("dual use"), werden aus militärischer wie auch aus humanitärer Perspektive untersucht.

Die Studie unterzieht weiters vorgeschlagene technische Lösungen für die von Anti- Personen-Minen verursachten humanitären Probleme einer Analyse, wie insbesondere den verstärkten Einsatz von mit Selbstzerstörungs- und Selbstdeaktivierungs-Mechanismen ausgestatteten Modellen. Aus vielfältigen Gründen werden diese Lösungen für ungeeignet befunden, die Zahl der zivilen Opfer und die Beeinträchtigungen des zivilen Lebens durch Anti-Personen-Minen signifikant zu reduzieren.

Bei der Überprüfung von Alternativen zu Anti-Personen-Minen beschreibt die Studie eine Anzahl von Möglichkeiten wie Zäune, physische Hindernisse, direkten Feindbeschuß sowie die verbesserte Aufklärung, Mobilität und Feindbeobachtung. Diese Mittel wurden bereits von Streitkräften angesichts einer Vielzahl von taktischen Lagen angewendet und für wirksam befunden. Technologische Entwicklungen haben auch den Weg für vielversprechende Alternativen geöffnet, die in Kapitel IX. der Studie erörtert werden und die eher verfolgt werden sollten als neue Minen-Technologien. Verbesserungen auf dem Gebiet der Minenräumung und die Entwicklung von Fahrzeugen, die immer widerstandsfähiger gegen Minen werden, werden als Maßnahmen vorgeschlagen, um den Anreiz für den Einsatz von Anti-Personen-Minen weiter zu verringern.

Die Schlußfolgerungen der Studie wurden in einer Sitzung aktiver und im Ruhestand befindlicher Berufsoffiziere aus einer Vielfalt von Staaten aufgezeichnet und von allen Teilnehmern in ihrer persönlichen Kapazität einhellig unterstützt.

2. Schlußfolgerungen

(Einhellig unterstützt in ihrer persönlichen Kapazität von Mitgliedern einer Gruppe von Militärexperten von 12.-13. Februar 1996 und von anderen Militärexperten, deren Namen im Anhang des Berichtes aufscheint.)

  1. Der militärische Wert von Landminen, wie sie in tatsächlichen Konflikten der letzten 55 Jahre zum Einsatz kamen, hat wenig Beachtung in veröffentlichten militärischen Studien gefunden. Der spezifische Mehrwert von Anti-Personen-Minen im Vergleich zu jenem von Anti-Panzer-Minen hat kaum Beachtung gefunden. Es gibt kaum Hinweise dafür, daß intensive Forschung über den Wert von Anti-Personen-Minen, basierend auf historischen Erfahrungswerten, innerhalb professioneller militärischer Organisationen durchgeführt worden wäre.
  2. Anhand der verfügbaren Materialien über den Nutzen von Anti-Personen-Minen läßt sich die Behauptung, Anti-Personen-Minen wären unverzichtbare Waffen von hohem militärischem Wert, nicht belegen. Hingegen kann ihre Wirkung zur unterschiedslosen Terrorisierung bei Gebrauch durch irreguläre Streitkräfte hoch sein. Ihr Gebrauch als Mittel zur Regulierung der Überbevölkerung ist bedauernswerterweise nur allzu wirksam.
  3. Die in der Studie untersuchten Fälle lassen, gemeinsam mit den persönlichen Berufserfahrungen der Mitglieder der Gruppe von Militärexperten, eine Reihe von Schlüssen betreffend klassisch verlegter Minen zu:
    • Die Einrichtung, Überwachung und Erhaltung von ausgedehnten Minenfeldern zum Schutz einer Grenze sind zeitaufwendig, kostenintensiv und gefährlich. Um überhaupt irgendeine Wirksamkeit zu haben, müssen solche Minenfelder unter ständiger Beobachtung und unter direktem Beschuß liegen, was nicht immer möglich ist. Wegen dieser praktischen Schwierigkeiten sehen bereits viele Streitkräfte völlig vom Anlegen solcher Minenfelder ab. Darüber hinaus haben sich Minenfelder nicht bewährt, um potentielle Eindringlinge abzuhalten.
    • Unter Kampfbedingungen sind der Einsatz sowie die Markierung und Kartierung von Minenfeldern in Übereinstimmung mit klassischen militärischen Regeln und dem Humanitären Völkerrecht selbst für professionelle Armeen extrem schwierig durchzuführen. Die Geschichte zeigt, daß effektives Markieren und Kartieren von Minen auch kaum je stattgefunden hat.
    • Die Kosten für Streitkräfte, die Anti-Personen-Minen verwenden, hinsichtlich eigener Opfer, Beschränkung der taktischen Beweglichkeit und Sympathieverlust bei der jeweiligen Bevölkerung sind höher als allgemein angenommen.
    • Der Einsatz von Anti-Personen-Minen fand in den seltensten Fällen in Übereinstimmung mit traditionellen militärischen Regeln und nur unter folgenden besonderen Voraussetzungen statt:
      • Die beteiligten Konfliktparteien waren disziplinierte und gut ausgebildete Streitkräfte mit hohem Verantwortungsgefühl und nur in einen kurzen internationalen Konflikt verwickelt;
      • die taktischen Situationen waren völlig statisch;
      • Minen spielten im gesamten Konflikt keine bedeutende Rolle;
      • die Streitkräfte hatten ausreichend Zeit und Mittel, um Minenfelder in Übereinstimmung mit militärischen Regeln und Gesetz zu markieren, zu überwachen und zu erhalten;
      • die verminten Landstriche waren von ausreichender wirtschaftlicher oder militärischer Bedeutung, daß auch die anschließende Minenräumung gewährleistet war;
      • die Konfliktparteien verfügten über ausreichende Mittel, um die Minenräumung zu ermöglichen und ohne Verzögerung durchzuführen; und
      • der politische Wille zur strikten Beschränkung des Mineneinsatzes und der anschließenden Räumung war vorhanden.

  4. So anerkannt die militärische Bedeutung von Panzerminen ist, so fragwürdig ist der Wert von Anti-Personen-Minen. Zwar wird ihre Bedeutung als Waffe zur Sicherung von Anti-Panzer-Minen allgemein behauptet, es gibt allerdings kaum historische Beispiele, die die Wirksamkeit eines solchen Gebrauches belegen.
    • Besonders, wo Minenfelder einfach mit Hilfe von Walzen, Pflügen, Dreschflegeln, Sprengladungen, "Brennstoff-Luft-Explosivstoffen" (fuel-air-explosives) oder Bombardierung geräumt werden, wurde der Wert von Anti-Personen-Minen nicht aufgezeigt.
    • Ebenso ist die Wirkung von Anti-Personen-Minen gegen ungeschützte Infanterie beschränkt; nur ein geringer Prozentsatz der Truppen wird kampfunfähig gemacht. Bodentruppen sind in der Vergangenheit durch Minenfelder vorgerückt und haben die damit verbundenen Risiken und Opfer in Kauf genommen.
    • Die Verwendung von Anti-Personen-Minen als Instrument des Terrors, ob in internationalen oder internen Konflikten, ist von zweifelhaftem militärischen Wert. In der Praxis richtet sich eine solche Verwendung letzten Endes gegen die Zivilbevölkerung.

    Fernverlegte Anti-Personen-Minen sind nicht ausschließlich defensive Waffen. In der Praxis werden sie wahrscheinlich auch benutzt werden, um Zielgebiete damit zu belegen. Die Mobilität professioneller Streitkräfte wird dadurch dennoch nicht wirksam behindert.
  5. Fernverlegte Anti-Personen-Minen fordern dafür umso sicherer zahlreiche Opfer unter der Zivilbevölkerung, selbst wenn sie mit Selbstzerstörungs- oder Selbstdeaktivierungs-Mechanismus ausgestattet sind, und zwar aus folgenden Gründen:
    • sie sind während ihrer vorgesehenen Lebensdauer gefährlich;
    • die Markierung und Kartierung solcher Minen ist praktisch unmöglich;
    • in längeren Konflikten können sie immer wieder fernverlegt werden;
    • Selbstzerstörungs- und Selbstdeaktivierungs-Mechanismen können unzuverlässig sein;
    • auch inaktive Minen bleiben, wie nicht explodierte Geschoße, gefährlich;
    • schon die bloße Präsenz von verminten Gebieten wird Angst hervorrufen und die Bevölkerung vom Betreten der für ihr Leben wichtigen Gebiete abhalten.

  6. Einige Absperrungssysteme und andere taktische Methoden eröffnen Alternativen zum Einsatz von Anti-Personen-Minen. Zusätzliche Alternativen sollten eher verfolgt werden als die weitere Entwicklung neuer, technisch optimierter Anti-Personen-Minen. Entwicklungen, welche die tödliche Wirkung von Anti-Personen-Minen weiter steigern, sind zu mißbilligen und sind unnötig.

  7. Die Entwicklung verbesserter Technologien in der Minenräumung für militärische, humanitäre und zivile Zwecke sollte mit dem Ziel forciert werden, Anti-Personen-Minen noch nutzloser zu machen.